Einleitung: Was sich am 9. Juli 2006 während der Fußball-Weltmeisterschaft auf der sogenannten „Fan-Meile“ westwärts vom Brandenburger Tor ereignet hat, ist gerade auch für Fußball-Ignoranten, zu denen sich der Autor dieser Zeilen zählt, bemerkenswert. Wenn später einmal markante Zäsuren für die jüngere Kulturgeschichte der Berliner Republik aufgezählt werden, so dürften die Berliner Geschehnisse dazu gehören. Möglicherweise kann man mit etwas Abstand in ihnen das erkennen, was die Gesellschaftsgeschichte retrospektiv als generationsbildendes Ereignis beschreibt.
Verschiedene Vorgänge gingen dem voraus. Erstens, dass eine junge, unbekannte und bislang wenig erfolgreiche Mannschaft nicht nur über ihre sportlichen Gegner, sondern auch über die üble Nachrede der heimischen Etablierten triumphierte. Schließlich war ihr Trainer noch im März diesen Jahres von den in diesem Bereich Tonangebenden – beispielsweise durch das bayerische, oft als Fußball-Mafia bezeichnete Netzwerk und durch die BILD-Zeitung – rigide heruntergemacht worden. Zweitens gehörten zur Vorge- schichte die Wochen eines perfekt organisierten Kindergeburtstages. Bei bestem Sommerwetter konnte der erlebnisorientierte Teil der Bevölkerung, vor allem die Teenager und Twens, zu hunderttausenden auf öffentlichen Plätzen, wo sie vom Bier übers Hütchen bis zur Fahne gut versorgt waren, beim Tanzen, Zittern und Jubeln dionysisch in der Masse aufgehen. Bei dieser Dauerparty identifizierten sie sich mit jenem jungen Team, das gegen alle Vorschuss-Miesmacherei der inländischen Meinungsführer mehr und mehr Erfolge errang. Die Begeisterung wuchs und wuchs, und die Erwartung, dass Deutsch- land im Finale um die Weltmeisterschaft kämpfen wird, auch. …