Silvia Nadjivan: Das Skelett der ewigen Gegenwart Die Demontage des titoistischen Systems und die Etablierung der national(istisch)en Gemeinschaft unter Slobodan Milosevic und Franjo Tudjman

Einleitung:
„Die Zeit rundete sich zum Kreis, und nach genau 50 Jahren, im neunten Dezennium des 20. Jahrhunderts, brach ein neuer Krieg aus. Diesmal waren es keine ‚bösen Deutschen, schwarzen Faschisten‘, die
einheimischen Teilnehmer haben die Rollen unter sich aufgeteilt“ (Ugresid, 1995, S. 16). Das titoistische Jugoslawien, das auf der Grundlage des Zweiten Weltkriegs entstanden war, fand beinahe fünfzig Jahre später sein Ende im jugoslawischen Bürgerkrieg. Die Frage nach der kollektiven Identität sollte sowohl die Etablierung als auch den Zusammenbruch des kommunistischen Jugoslawien bestimmen. Hatte die gesamt jugoslawische, titoistische Identität die Funktion gehabt, die Integration des Vielvölkerstaates zu sichern, so führte die nationalistische Instrumentalisierung der unterschiedlichen regionalen Identitäten zum Zerfall Jugoslawiens Ende der achtziger Jahre. Verbunden mit der Legitimitätskrise des Vielvölkerstaates begann seit Mitte der achtziger Jahre die Ideologie des ethno- nationalistischen Kollektivismus jene des kommunistischen Kollektivismus in Jugoslawien zu ersetzen (Marid, 1995, S. 129). Obwohl die Ausrichtung der neuen nationalistischen Regierungen, unter Milosevic in Serbien und unter Tudjman in Kroatien, explizit anti-kommunistisch war, basierte deren Praxis dennoch weiterhin auf dem kommunistischen System (Thompson, 1994, S. 130). Der nationalistische Kollektivismus Kroatiens und Serbiens knüpfte an den kommunistischen an, wobei in beiden Teilrepubliken die Ethnizität die Klasse ersetzen sollte. Die postkommunistischen Regierungen „demontierten das alte System und erbauten ein neues aus denselben Teilen“ (s. Ugrcsic, Kultur der Lüge, 60.). …