Wolfgang Monschein & Silvia Nadjivan: „Was ist die Macht der Presse und die Macht des Mediums? Das ist die Macht des Verschweigens“ Einschätzungen von Prof. Paul Lendvai in einem Gespräch mit Wolfgang Monschein und Silvia Nadjivan am 26.9.2000 in Wien

Einleitung:
medien & zeit: Herr Prof. Lendvai. Wir kennen Sie als advocatus diaboli, wie Sie sich seihst im Europastudio hezeichneten, als ehemaligen Intendanten von Radio Österreich International und als Chefredakteur der Europäischen Rundschau. In unserem Schwerpunktheft geht es um die Bedeutung des massenmedialen Systems in den südosteuropäischen Staaten, vor allem vor dem Hintergrund der krisenhaften Entwicklungen in den letzten Jahren. In diesem Zusammenhang möchten wir Sie um Ihre Definition von „massenmedialer Öffentlichkeit“ bitten.

Lendvai: Die massenmediale Öffentlichkeit – das ist einer dieser künstlich geschaffenen „Gummibegriffe“. Die Kronen Zeitung, der Economist, „Taxi Orange“ oder das „Europastudio“ sprechen verschiedene massenmediale Öffentlichkeiten an. Die massenmediale Öffentlichkeit müssen Sie nach soziologischen und sonstigen Begriffen klassifizieren. Zu wem wollen Sie sprechen? Zu den Werbe- und Fernsehgewaltigen des Kommerzfernsehens oder zu den Sehern der öffentlich-rechtlichen Programme zwischen 10 und 30 Jahren? Politische Sendungen und Zeitschriften sprechen wieder eine andere Öffentlichkeit an. Die massenmediale Öffentlichkeit ist so, wie Kafka die Wahrheit beschrieben hat: Es gibt zwar nur eine, die ist aber lebendig und hat deshalb ein ständig wechselndes Gesicht. Das gilt auch für die massenmediale Öffentlichkeit. Die Leute, die Ih re Zeitschrift lesen oder die Leute, die meine Zeitschrift lesen, sind sicher Teile einer anderen Öffentlichkeit als die Leute, die die verschiedenen Nachmittags-programme konsumieren. Ich will hier ja keine Namen von Sendungen oder Programmen nennen, aber ich habe unlängst eines dieser sehr viel diskutierten Massenprogramme angeschaut. Und nach den ersten vierzig Minuten war ich sehr besorgt um die Zukunft der Welt. Ist es das, was die jungen Leute sehen wollen? Nicht wegen der teils pornographischen Inhalte, sondern wegen der schwindenden Fähigkeit, komplizierte Sachverhalte zu verstehen. All das heißt massenmediale Öffentlichkeit, die ein sehr vielschichtiger Begriff ist. …