Thomas Bulant: „… täglich Wiener Schnitzel zu essen, verdirbt im Laufe der Zeit den gesündesten Magen“ Das Kabarett auf Welle 530

Einleitung:

„Die Sache mit dem Storch“

„Ich kann mir nicht helfen, ich glaub’ an den Storch.
Und wenn ich auf alle Methoden horch’,
Wie angeblich Kinder zu Erden reisten,
Das mit dem Storch gefällt mir am meisten!“
(Fritz Grünbaum)

Gedichte machen, Worte reimen, einen Vers dem anderen folgen lassen, gesprochen oder gesungen: Dies war eine der wichtigsten Darbietungsformen des Zwischenkriegskabaretts. In den Kabarettprogrammen der RAVAG, der österreichischen Radioverkehrs AG in der Ersten Republik, nannte man diese zumeist unpolitische Form des Kabaretts „heitere Vorträge“.

Das Radiokabarett entlieh sich seine Künstler meistens aus dem Wiener Simpl und somit auch die dort gebräuchlichen Darbietungsformen. Darunter befand sich auch die von Fritz Grünbaum und Karl Farkas kreierte Doppelconference. Beide auch Meister in der Einzelconference, boten sie in der Simpl-Revue „Der Vorhang hebt sich“ folgendes Zwiegespräch über die RAVAG:

Farkas: Jetzt wird gearbeitet! Man müßte einmal Deine Gespräche während unserer Revuearbeit auf Schallplatten festhalten.
Grünbaum: Danke, ich habe nicht den Ehrgeiz, bei der RAVAG gratis mitzuwirken! Bei mir wird sie sich die Spesen für den Bau ihres neuen Funkhauses nicht hereinbringen!
F: Die RAVAG hat ein neues Funkhaus? Wozu hat sie das gebraucht?
G: Sie hat schon soviel Schallplatten gehabt, daß in der Johannesgasse kein Platz mehr dafür war!
F: Du fängst auch schon damit an? Seit sich der Reichsbrückenbau seiner Vollendung nähert, haben sich sämtliche Wiener Komiker auf die Schallplattensendungen der armen RAVAG gestürzt. Dabei ist das pure Verleumdung: Die RAVAG sendet nicht lauter Schallplatten!
G: Gewiß nicht! Hie und da sendet sie auch Grammophonmusik!
F: Sei nicht boshaft! Wahrscheinlich liebt das Publikum die Schallplattensendungen. Sonst hätte es sich längst über sie beschwert.
G: Es hat sich beschwert!
F: Und die RAVAG?
G: Steht auf dem Standpunkt, das Publikum hat außer den Wunschkonzerten keine Wünsche zu haben. Die RAVAG bestimmt das Programm, und das Publikum hat sich nicht hineinzumischen.

Die hier zitierte Aussage von Fritz Grünbaum charakterisierte auch das Schicksal des Kabaretts im Rundfunk: Das Publikum wünschte sich heitere Programme, die RAVAG blieb aber großteils bei ihrer Linie, den Hörern Wissenschaft und die hohe Kunst ins Haus zu liefern. Mit Karl Kraus ließe sich formulieren, daß nun ein jeder Hausmeister an die große Welt angeschlossen war.

Diese Untersuchung beschäftigt sich mit den Kabarettprogrammen der RAVAG in den Jahren 1928 bis 1934, also solange in Österreich eine demokratische Verfassung in Kraft war. Die Analyse endet mit der Proklamation der ständischen Verfassung des austrofaschistischen Regimes am 1. Mai 1934, mit der die demokratische Verfassung von 1929 abgelöst wurde. In diesem Zeitraum war die RAVAG keiner direkten staatlichen Zensur ausgesetzt, man unterwarf sich vielmehr einer Selbstzensur. Eine Programmdirektion, die personell konservativ (Czeija, Redlich, Kunsti, Ast, Nüchtern, Henz) dominiert war, tat das Ihre dazu. Um sich vorstellen zu können, wie schwer man sich mit dem Kabarett tat und welche Strategien entwickelt wurden, um Kabarettprogramme, insbesonders politische, zu vermeiden, sei erwähnt, daß man selbst so manches Werk von Johann Wolfgang von Goethe — der sicherlich nicht an die tagespolitische Aktualität angestreift war — nicht unzensuriert sendete.

Mit Hilfe einer statistischen Datenerfassung wird diese Analyse keine vollständige Geschichte des Rundfunkkabaretts schreiben können, da als Quellen lediglich die Programmzeitschriften, Hörerreaktionen und einige Fallbeispiele zur Verfügung stehen. Es läßt sich also nur das Endprodukt „Programm“ untersuchen, während die dazu führenden Entscheidungsgründe leider im dunkeln bleiben. Außer einigen Beteuerungen der Programmverantwortlichen, den Anteil von heiteren Sendungen am Gesamtprogramm zu erhöhen, und einigen Hörerbefragungen gibt es keine weiteren Untersuchungsgrundlagen.
Die Untersuchung wird sich also auf eine Beschreibung des Programmes beschränken müssen.

Eines sei den folgenden Ausführungen vorausgeschickt: Auf dem Programmsektor „Heiteres“ entsandten die Programm verantwortlichen der RAVAG viele Jahre hindurch den Storch, auch wenn die Zuhörer schon längst nicht mehr an diesen glaubten…