Evelyn Adunka: „Wenn man ein genuiner Autor ist, dann ist es unmöglich, auf seine Autorenschaft zu verzichten“ Ein Gespräch mit Gertrud Fussenegger

Einleitung:

Adunka: Wie ist Ihre Erinnerung an Ihre jüdischen Jugendfreunde, wie intensiv war der Kontakt mit ihnen, wieviel wußten Sie von ihrem Hintergrund?
Fussenegger: In Pilsen freundete ich mich mit einer jüdischen Klassenkameradin, Trude Löffler, an. Wir besuchten einander sehr häufig, gingen zusammen spazieren, manchmal hat sie sogar bei mir übernachtet. Auch in den Ferien war sie etliche Wochen bei mir und unsere Freundschaft hat sich immer mehr verdichtet. Sie war sehr klug, war mir anhänglich und verschwiegen. Ohne Scheu konnte ich ihr alles erzählen, jeden jugendlichen Blödsinn. Trude war schon damals Zionistin, war beim „Blau-Weiß“ und glühend erfüllt von dessen Ideen. Ich habe sie beinahe beneidet um diese Zielsetzung, um ihre Begeisterung dafür, wäre gern mit ihr zu den Versammlungen des „Blau-Weiß“ gegangen und sie hätte mich auch mitgenommen. Aber meine Großmutter verbot es mir und sagte: „Da gehörst du nicht hin.“ Ich weiß nicht, was Trude so früh für den Zionismus eingenommen hat, denn ihr Elternhaus war es nicht. Eine Zeitlang bildete ich mir ein, cs sei mein Einfluß gewesen. Um mich war doch eine Aura von einer gewissen Freiheit und Offenheit für Ideen.

Adunka: In Ihrer Autobiographie schrieben Sie auch, daß Sie ideologiesüchtig waren.
Fussenegger: Richtig, das lag wohl in meiner Natur. Als Kind war ich sehr fromm und ganz erfüllt von dem, was mir da von striktem, strengem Katholizismus vermittelt wurde. Mit 16, 17 kam ich mit dem Marxismus in Berührung und war tief beeindruckt. Wir jungen Leute haben darüber diskutiert, wie die Gleichheit unter den Menschen herzustellen sei. Bis wir begriffen, daß ein solcher Grad von Gleichheit, wie wir ihn erträumten, nur durch strengste Überwachung durchgeführt werden kann. Da mußten wir uns sagen: Die vollkommene Gleichheit führt zu vollkommener Sklaverei. Damit erledigte sich diese Ideologie und dann kam ich zu Nietzsche.

Adunka: Und dann zum Nationalsozialismus.
Fussenegger: Das war später, 1933/34. Der Nationalsozialismus präsentierte sich zuerst als eine Bewegung, die versprach, Nationales und Soziales miteinander zu verbinden, zu versöhnen.

Adunka: Aber Sie sagten soeben, der Sozialismus sei für Sie erledigt gewesen. …