Einleitung: Oktober 1974 – Erstes Programm (ARD) – die Talkshow Je später der Abend. Dietmar Schönherr führt seinen Gast, die Schauspielerin Romy Schneider, ein: „Die Menschen in diesem Land können sich nicht damit abfinden, dass Romy nicht mehr Sissi ist“. Romy Schneider kommentiert: „Ich war noch nie Sissi. Das war eine Rolle“ (Zitiert nach Schwarzer, 1998, S. 12). In der Sendung präsentiert sie sich als Vamp und flirtet offen mit dem Skandal- Schauspieler Burkhard Driest.
Wohl kaum eine andere Schauspielerin hatte in der Bundesrepublik mit kollektiven Erinnerungen an frühere Rollen so zu kämpfen wie Romy Schneider. Durch die drei Sissi- Filme war sie auf das Image der kindlich-natürlichen Kaiserin festgelegt, das nicht zuletzt deshalb so übermächtig war, weil es ein personifiziertes nationales Unschuldsmotiv darstellte. Vor allem die Lösung aus der Familienbindung, die Übersiedlung nach Paris 1958 und die Beziehung zu Alain Delon markierten einen radikalen Imagebruch und wurden ihr von der deutschen Öffentlichkeit – respektive den Medien – übel genommen (Lowry & Korte, 2000, S. 109).
Das Image-Problem von Romy Schneider verweist auf den engen Zusammenhang von Populärkultur und Erinnerung und zeigt, dass Pop-Kultur keineswegs erinnerungs-vergessen sondern gelegentlich geradezu erinnerungsversessen ist. Kollektive Erinnerungen, so die hier vertretene These, stellen eine maßgebliche Kategorie zur Bestimmung von Popularität dar. Dies gilt insbesondere für Filmstars, weil sie oft über einen längeren Zeitraum in der Öffentlichkeit präsent und mit ihnen zeitspezifische Erinnerungen verbunden sind. Filmstars haben das Erscheinungsbild des 20. Jahrhunderts wesentlich mitgeprägt. Sie waren und sind Idole und Schönheitsideale, Mode-Trendsetter und Meinungsmacher, Leitbilder und Objekte von Wünschen und Träumen (ebd. S. 5). In der Öffentlichkeit nehmen sie vielfach eine Vorbild- und Orientierungsfunktion ein. Sie sind daher nicht nur als Individuen zu betrachten sondern immer auch als „Brennpunkt hochkomplexer kultureller Bezugssysteme und allgemein gesellschaftlicher Verhältnisse und Prozesse“ (Strobel & Faulstich, 1998, S. 12).
Im Folgenden möchte ich zeigen, dass Stars aufgrund ihrer öffentlichen Bedeutung Teil des kollektiven Gedächtnisses sind und die öffentliche Erinnerungskultur eines Landes, hier der Bundesrepublik, auf spezifische Weise mitformen. Zum einen versuchen viele Stars Erinnerungen an sich selbst zu konturieren, in dem sie z.B. Interviews geben und Autobiographien veröffentlichen, die stets auch Zeitdiagnosen enthalten. Zum anderen werden mit ihnen an Geburtstagen und besonders posthum bestimmte Erinnerungen wachgerufen und damit spezifische Rückblicke auf die deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert verbunden. Diesen Zusammenhang werde ich in Form von ersten eher essayistischen Überlegungen anhand von drei Filmstars aufzeigen, die sowohl generationenübergreifend bekannt sind als auch gewissermaßen die Zeitheimat (sensu W.G. Sebald) bestimmter Altersgruppen markieren: neben Romy Schneider Hildegard Knef und Heinz Rühmann. Dabei stütze ich mich auf Autobiographien und Biographien sowie auf Pressetexte und Nachrufe. …