Oliver Rathkolb: Warum kann Österreich (noch) nicht Europa erinnern?

Einleitung:

Europäische Erinnerungsräume                                                            

Die Ägyptologin und Anglistin Aleida Assmann hat in der Weiterentwicklung ihrer Habilitation aus 1992 sechs Jahre später eine beeindruckende Studie über die “Erinnerungsräume, die Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses” vorgelegt. Ausgehend von den verschiedenen Aufgaben kultureller Erinnerung, ihren Medien wie Schriften, Bilder, Denkmäler sowie den Speichern (Archiven) des kulturellen Gedächtnisses wäre es durchaus angebracht, auch Europa als Erinnerungsraum zu konstruieren – geprägt durch gemeinsame soziale, politische und ökonomische Entwicklungen, die derzeit höchst fragmentarisch, das heißt, nationalstaatlich geprägt, im kulturellen Gedächtnis permanent abgespeichert werden.

Mein Reflexionsziel ist die Vernetzung innovativer, aber noch national geprägter Ansätze, die sich um den heute höchst trendigen, aber zunehmend etablierten Gedächtnis-Diskurs – entwickelt haben – mit der Entwicklungsoption für transnationale Ansätze. Daher möchte ich vorerst näher auf die spezifische Theorieentwicklung eingehen, und vor allem deren grundlegende Wurzeln reflektieren. Das kulturelle Gedächtnis im Sinne von Assmann basiert auf einem Theorieversuch über das “kollektive Gedächtnis” des Soziologen Maurice Halbwachs aus Mitte der 20er Jahre, auf den ich im Detail noch zurückkommen werde, das wiederum Assmann (und ihr Mann Jan) in zwei Erinnerungsformen unterteilen: Kommunikatives Gedächtnis (basierend auf Alltagskommunikation und sozial und gruppenbezogen vermittelt) und kulturelles Gedächtnis, das durch institutionalisierte Kommunikation und kulturelle Prägungen wie Texte, Denkmäler, Gedenktage-/Feiern, Riten und Bräuche geformt und gespeichert wird. …