Matthias Marschik: Die Geburt der Nation aus dem Unterseekabel Eine Momentaufnahme aus Österreichs Rundfunkgeschichte

Einleitung: Im Fenster der noblen Bar des Hotel Sacher hing am 7. Dezember 1932 ein sehr prosaisches kleines Plakat: Neben einem stilisierten Fußballerbein und einem Lederball war eine österreichische Fahne abgebildet. In dicken Lettern wurde angekündigt: „Mittwoch, 13.20: Radioübertragung Österreich – England. Radioanlage durch Radio Goldschmied, Wien VII, Neubaugasse 3 und 19“. Dieses auf den ersten Blick unscheinbare Motiv war dem berühmten Fotografen Lothar Rübelt immerhin eine ganze Serie von Fotos wert. Doch erst etliche Jahre nach dem Ereignis war es möglich, alle Elemente der Besonderheit dieser Bilder zu verstehen, die wir heute als rundfunktechnische, massensportliche und nationale Attraktion benennen können.

Was an diesem nasskalten Dezembertag passierte, ist bereits an dem ausgehängten Plakat abzulesen: In England fand ein Fußballspiel zwischen den Gastgebern und dem Team Österreichs statt, das schon in der Zeitgenössischen Presse als „Jahrhundertspiel“ (Steiner, 1932, S. 6) tituliert wurde und eine „Klarstellung des Kräfteverhältnisses zwischen den zwei ,Fußball-Weltmächten“ (Wiener Allgemeine Zeitung, 3.12.1927, S. 2) bringen sollte und musste; Das Spiel wurde, auch das eine Sensation und ein „technisches Wunder“ (Arbeiter-Zeitung, 6.12.1932, S. 6), live im Radio übertragen; und schließlich symbolisierte die rotweiß-rote Fahne noch eine weitere Novität: In einer Republik, die kaum jemand für politisch und ökonomisch überlebensfähig hielt, manifestierte sich die Entstehung eines nationalen Bewusstseins: „Wir sind ein Fußballstaat. In der Wirtschaft sind wir Schnorrer, in der Politik sind wir Patzer, aber auf dem grünen Rasen sind wir Meister“ (Wiener Allgemeine Zeitung, 8.12.1932, S. 1). …