Einleitung
Nach dem Scheitern des Anschlags auf das Bundeskanzleramt im Juli 1934 war die nationalsozialistische Österreich-Politik in eine neue Phase getreten: Hitler und die Deutsche Reichsregierung distanzierten sich notgedrungen öffentlich von dem fehlgeschlagenen „Putsch“; Theo Habicht, der Landesleiter der damals schon illegalen NSDAP in Österreich, wurde seiner Funktion enthoben, die Landesleitung der NSDAP für Österreich in München aufgelöst und offiziell eine Trennung zwischen Reichspolitik und NSDAP in Österreich vorgenommen. Kurt Rieth, der deutsche Gesandte in Wien, wurde zurückgezogen und durch Franz von Papen ersetzt, von dem man sich deutscherseits eine Entspannung der österreich-deutschen Beziehungen erwartete. Diese „Normalisierung“ der deutsch-österreichischen Beziehungen fand ihren ersten Ausdruck in dem Juliabkommen des Jahres 1936, in dem Deutschland die Souveränität Österreichs anerkannte und dessen innenpolitische Entwicklung als innere Angelegenheit zu respektieren versprach. Österreich hingegen bestätigte – ohne auf seine Verpflichtungen im Rahmen der Römer Protokolle verzichten zu müssen – nur das, was offiziell bislang ohnedies immer wieder betont worden war: seinen Charakter als „deutschen“ Staat. Das nicht veröffentlichte Zusatzprotokoll (das sogenannte „Gentlemen’s Agreement“) freilich war nichts anderes als die Akzeptierung der Einmischung des Deutschen Reiches in die inneren Verhältnisse Österreichs. Österreich stimmte darin einer engen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Zusammenarbeit mit dem Deutschen Reich und der Akkordierung der österreichischen mit der deutschen Außenpolitik zu, wobei in einer Klausel explizit die permanente Konsultation Deutschlands durch Österreich vorgesehen war. Darüber hinaus verpflichtete sich Österreich, eine Amnestie für Nationalsozialisten durchzuführen und Vertreter der sogenannten nationalen Opposition zur politischen Verantwortung heranzuziehen.
Im folgenden wird versucht, Inhalt und Zielsetzungen des Abkommens und seine Präsentation durch die österreichische Regierung in der Öffentlichkeit an Hand ausgewählter Pressezitate zu dokumentieren und die innerösterreichische Reaktion beziehungsweise die Stellungnahmen des Auslands an einigen Beispielen darzustellen. Die Auswahl mußte sich nicht zuletzt aus Platzgründen auf einige Wiener Zeitungen („Wiener Zeitung“, „Reichspost“, „Neues Wiener Tagblatt“) konzentrieren. Um das „andere“, in die Illegalität abgedrängte Österreich auch zu Wort kommen zu lassen, wurden auch Publikationen und Flugblätter der in den Untergrund gedrängten politischen Opposition aufgenommen. Auslassungen im Text sind jeweils mit „…“ gekennzeichnet; die Interpunktion ist den derzeit geltenden Regeln angeglichen. Die typographische Anordnung der Texte (Absatzgestaltung, Schlagzeilen) wurde teilweise verändert. Die Überschriften sind jeweils den zitierten Artikeln (teils paraphrasiert, teils wörtlich) entnommen. …