Einleitung: „Ex-Nazis halten keine Chance!” Mit diesen apodikischen Wol len markierte der journalist in seiner Maiausgabe 1995 den Rahmen, in dem der 50. Geburtstag der neuen, demokratischen Presse gefeiert zu werden hat (Stamm, 1995). Die „Stunde Null” der deutschen Presse soll auch weiterhin strukturell und personell als Neuanfang propagiert werden. Die Gewerkschaft jedenfalls, so die Botschaft des Artikels im Mitgliederblatt des „Deutschen Journalislen-Verbandes”, wird den Redaktionen wegen eines Verzichts auf eine Rückschau in die Zeit vor 1945 nicht in die Feiertagssuppe spucken.
Auch von gelehrter Seite stand so etwas bisher nicht zu befürchten. Zwar sind die ersten Jahre der westdeutschen demokratischen Presse nach 1945 wissenschaftlich gut dokumentiert. Nach dem Krieg, so ein Resümee der wichtigsten Publikationen, habe es eine „Stunde Null” gegeben, durch eine mehr oder weniger strenge Entnazifizierung sei den Repräsentanten der Parteipresse, den bürgerlichen Altverlegern und nazifreundlichen Schriftleitern so etwas wie ein Berufsverbot auferlegt worden. Diese Einschätzung beruht aber auf der Annahme, die Bestimmungen der Alliierten für die Erteilung einer Lizenz und bei der Auswahl des Redaktionspersonals seien in der Praxis auch umgeselzl worden. Diese Einschätzung ist falsch. Die These vom personellen Schnitt, vom Neuanfang mit unbelasteten Redakteuren wurde unhinterfragt zum Faktum. Sie konnte aufrecht erhalten bleiben, weil eine systematische Untersuchung der Lebensläufe der Nachkriegsjournalisten in der Bundesrepublik – anders als in Österreich – bisher ausblieb. „Nach wie vor wird die fachliche Biographie einzelner herausragender Persönlichkeiten gepflegt. Dem historisch gewordenen Berufssland und seiner alltäglichen Wirklichkeit wenden sich nur wenige Arbeiten zu” (Schmolke, 1970).
Die Erklärung für den Verzicht auf derartige Forschung ist – abgesehen von politischer Inopportunität – einfach: Fritz Hausjells Untersuchung für Österreich erforderte fünf Jahre Archivarbeit (Hausjell, 1985/89). Eine ähnlich angelegte Studie für Westdeutschland wäre wegen der Vielzahl von Titeln erheblich umfangreicher. Der Ansatz der vorliegenden Arbeit weicht deshalb von dem Hausjells ab. …