Uwe Mauch: Ein österreichischer Journalist Manfred Jasser schrieb im "Ständestaat", im "Dritten Reich" und in der "Zweiten Republik"

Einleitung:

„Versöhnung ist möglich mit Menschen, mit ehemaligen Nationalsozialisten; Versöhnung ist nicht möglich mit dem Geist, für den diese Menschen einmal eingetreten sind.“
Anton Pelinka

April 1945
„Es gehl um unsere Ehre”

Man schrieb den 7. April 1945. Es war ein Samslag, der Ostersamstag. Die Schlacht um Wien begann im Morgengrauen. Am Vormittag überqueren Soldaten der Roten Armee an mehreren Stellen die Stadtgrenze. Die 5. Garde-Luftlande-Division rückt von der Simmcringer Hauptstraße über das Industriegebiet Sankt Marx zum Donaukanal vor. Die ersten Sowjet-Panzer rollen über den Matzleinsdorfer Platz und von dort weiter zum Südbahnhol. In der Nähe des Westbahnhols fallen Schüsse.

Man hört den Kanonen-Donner auch im Redaktionsgebäude des „Ostmärkischen Zeitungsverlags“ am Eleischmarkt, als der Journalist Dr. Manfred Jasser in den notdürftig eingerichteten Luftschutz-Keller hinuntereilt und an einer Schreibmaschine hastig zu hämmern beginnt. Ein bisher unbekanntes Stück Wiener Zeitungsgeschichte entsteht der letzte Leitartikel der Wiener Nazi-Presse. Dem Titel Das tapfere Herz läßt der bis zum Schluß regimetreue Kommentator einen historischen Vorspann folgen, ehe er sich und seinen Leserinnen noch einmal Mut macht: „Alles wäre unvergleichlieh leichter, wenn jeder die Front sehen könnte, die mit vorbildlicher Tapferkeit kämpfenden Truppen, die Volkssturmmänner, die treu ihre Pflicht und sehr oft mehr als ihre Pflicht erfüllen dann wäre ihm das Herz bald gestärkt, lind er würde sich geborgen fühlen. Er würde sehen, daß die Bolschewisten in kühnem ( ïeg enstoß da und dort wieder zurückgetrieben wurden und daß die Front auch dort hält, wo sie dünner ist als anderswo, weil Mut und Beherztheit deutscher Männer die materielle Überlegenheit des Feindes wieder ausgleichen.“

Es werde in der Stunde der Entscheidung, so die Parole, auf „den Mut, die Besonnenheit und die Anständigkeit jedes einzelnen“ ankommen. Kein Wort von Kapitulation, im Gegenteil: „Wo ihr einen seht, der zaghaft ist, dort stützt ihn; wo ihr einen seht, der seine Pflicht nicht erfüllt, dort mahnt ihn; wo ihr einen seht, der Schaden und Unruhe stiftet, dort stoßt ihn aus der Gemeinschaft.“

Erst wenige Tage zuvor, am 3. April, war der 36jährige Sohn Grazer Kaufleute zur letzten publizistischen Pflichterfüllung auserwählt worden. Der Wiener Reichsverteidigungskommissar Baldur von Schirach hatte an diesem Tag angeordnet, das „Neue Wiener Tag- blatr und die „Kleine Wiener Kriegszeitung“ einzustellen und dafür provisorisch eine „Wiener Festungszeit“ herauszugeben. Die Leitung dieser Zeitung hatte Schirach dem Parteigenossen- Jasser übertragen. Eine Entscheidung mit Augenmaß: Der Auserwählte hat sich in der Wiener Tagespresse mit regimefreundlichen Kommentaren und Kriegsberichten einen Namen gemacht. Unter Journalistinnen und auch unter SS- Leuten eilt ihm bis zuletzt der Ruf eines wahren, loyalen Nationalsozialisten voraus. In der Redaktion des „Neuen Wiener Tagblatts“ wird ihm auch ein guter Draht zum GESTAPO-Hauptquarlier am Morzinplatz nachgesagt.

Die Zeit drängt. Der Leitartikler sieht seine deadline näher rücken. Doch während ein Korps der Wien-Befreier über die Alser Straße bis zum AKH vorstößt, formuliert er noch immer an der Realität vorbei: „Es geht jetzt nicht darum, daß irgendeiner seinen Posten rettet, es gehl nicht um die Partei, es gehl auch nicht um unser Leben; cs geht um unsere Ehre, es gehl um die Würde des Wienerlums, es gehl darum, daß diese Stadl, die so viel Leid und so viel Freude gesehen hat, ihren Schild rein und fleckenlos erhält.“

Er habe sich für diese letzte Parole später nie geniert, erklärte Jasser in einem Interview kurz vor seinem Tod. Ganz geheuer dürfte sie ihm allerdings auch nicht gewesen sein. Noch bevor die Zeitung in Druck ging, machte sich auch der letzte Wiener NS-Kommentator aus dem Staub. Sein Weg führte über die Donau zum Bisamberg. Dort wurde ihm mitgeteilt, daß ihn Reichsverteidigungskommissar Baldur von Schirach in Krems an der Donau erwarte.

Am Ende des Tages hatte die Rote Armee Wien befreit. Jassers Jugendtraum, das Trauma des tausendjährigen Reichs, ging damit zu Ende. Dabei hatte die nationalsozialistische Mission für den Grazer Journalisten verheißungsvoll begonnen. …