Einleitung: Die Debatte über die Kommunikations- beziehungsweise Mediengeschichtsschreibung ist in den letzten Jahren vielstimmiger geworden, die Beitrüge sind aus dem nur programmatischen und methodologischen Status herausgetreten, sind materialreicher geworden, auch wenn bis zur Vorlage umfassender kommunikationsgeschichtlicher Darstellungen noch viel Arbeit zu leisten ist. Die Gründe für die Intensivierung des Diskurses sind vielfältig, drei Momente erscheinen mir hervorhebenswert:
1. Vor allem bei den Rundfunkmedien, die noch bis in die achtziger Jahre hinein auch vielen der Programmmitarbeiter als ahistorisch galten, ist die Historizität der Medien offenkundig geworden. Die Etablierung des dualen Systems, mehr aber noch das Ende von auf Endlosigkeit hin angelegten Programmen mit dem Ende der DDR hat die Erfahrung medialer Zäsuren vermittelt, damit auch den eindeutigen Abstand zwischen dem Jetzt und dem einmal Gewesenen. Daß eine gesamte Linie der audiovisuellen Kommunikation, die eben noch aktuelle Gegenwart war, nun ein „abgeschlossenes Sammelgebiet“ der Mediengeschichte darstellt, wie einige meinen, markiert den Schock der Historizität der auf ihre allumfassende Gegenwärtigkeit insistierenden Funkmedien.
2. Das verstärkte Interesse an Kommunikationsund Mediengeschichte vor allem in den geisteswissenschaftlichen Disziplinen (Literatur-, Theater-, Kunst- und Medienwissenschaft) – nicht zuletzt auch motiviert durch die Suche einer jüngeren Wissenschaftlergeneration nach dem mediengeschichtlichen Rahmen der eigenen kulturellen Sozialisation – hat seinen Ansatz in den sozialwissenschaftlichen Konzepten zur Literatur- und Kunstgeschichte. Es entstand in der Auseinandersetzung damit aber auch Skepsis gegenüber der Tragfähigkeit der aus der Literaturgeschichtsschreibung tradierten Modelle, die aus dem Konzept der Nationalgeschichte entstanden waren (vgl. dazu Schanze, 1977). Hier entstand ein Modellbedarf, wie Mediengeschichtsschreibung durchzuführen sei. Denn kann die Literaturgeschichte in breiter Front auf Kanonbildung, Methodenvielfalt und Einzelstudien zurückgreifen, fehlen diese Ebenen der vorbereitenden Materialbereitstellung weitgehend.
Die Diskussion um die Programmgeschichtsschreibung hat dies deutlich gemacht. Die Diskussionsrunden im Studienkreis Rundfunk und Geschichte 1976 und 1982, die Debatte auf der Wiener DGPuK-Tagung „Wege der Kommunikationsgeschichte“ 1986 bildeten Markierungspunkte dieser Debatte, die sich auf den Gegensatz zwischen einem „Baustein“-Verfahren und einem integralen Ansatz zuspitzte. Die Arbeit am Gegenstand, neben vielen Einzelbeiträgen sei hier nur auf das Programmgeschichtsprojekt „Rundfunk in der Weimarer Republik“ des Deutschen Rundfunk-Archivs (DRA) und auf den Sonderforschungsbereich „Bildschirmmedien“ (Siegen/Marburg) verwiesen, hat dabei gezeigt: Der Gegensatz zwischen den zunächst als grundsätzlich konträr erscheinenden Positionen hat sich abgeschliffen, weil einerseits das DRA-Projekt als integraler Ansatz angesichts der Materialfülle ein System von Längs- und Querschnitten sowie von Fallstudien entwickelt hat, in denen zentrale Aspekte der Pro- grammgcschichtc zur Darstellung kommen, und sich andererseits der Sonderforschungsbereich Femsehpro- grammgeschichte nicht nur additiv aus Bausteinen zusammensetzt, sondern sich auch integrative Klammern geschaffen hat, Rahmenstrukturen diskutiert und eine Vernetzung der einzelnen Gattungsgeschichten der Programmformen, Ressorts und Sendungsgeschichten betreibt (von der gegenwärtig entstehenden, auf fünf Bände angelegten Geschichte und Ästhetik des bundesdeutschen Fernsehens, hrsg. von Helmut Kreuzer und Christian Thomsen, einem ersten femsehprogrammgeschichtlichen Zwischenbericht, sollen 1992 bereits die ersten Bände (Fink Verlag München) erscheinen). Dennoch stehen noch eine Reihe von Problemen zur methodologischen Vorklärung an: Fragen der Darstellung beispielsweise, der historiographischen Narration eines schier unüberschaubar scheinenden Programm Busses, der Beschreibbarkeit mehrdimensionaler Prozesse oder der historiographischen Fundierung systemtheoretischer Medienkonzepte.
3. Schließlich stellte sich eine Herausforderung im engeren Bereich der Mcdiengeschichtsschreibung: in der historischen Konstruktion. Die lineare Konstruktion medienhistorischer Genese erscheint zunehmend als problematisch. Ist denn das, was eine Fcmsehgeschich- te in einer Linie von Paul Nipkows „Lochscheiben“-Patent von 1884 am Anfang mit der Konzemmacht der öffentlich-rechtlichen Anstalten in der Bundesrepublik mit ihrem „Umsatz“ von ungefähr 8 Milliarden DM heute an ihrem Ende beispielsweise verbindet, tatsächlich im Sinne einer geschichtlichen Konstruktion einer einheitlichen Mediengeschichte miteinander verbindbar? Oder haben wir es nicht mit ganz anderen als den sich auf diese Weise nur technikgeschichtlich begründbaren Konstruktionen zu tun, die in anderen Vernetzungsformen nur darstellbar sind? …