Siegwald Ganglmair: „Die hohe Schule von Schlögen“ Zur Geschichte und Rezeption eines Bettlerlagers im Ständestaat

Einleitung:

Schlögen ist allen Donaufahrern ein bekannter Name. Hier ist eine Stromstelle einzigartiger Schönheit: zwischen Wesenufer und Obermühl beschreibt die Donau im waldigen Engtal jene scheinbar in sich selbst zurückfließende scharfe Kehre um einen mächtigen Granitsporn, die zu den besonderen Schaustücken der romantischen Donaufahrt Linz – Passau gehört. Auch in der römischen Geschichte unseres Landes hat Schlögen eine besondere Bedeutung: Hier war ein römisches Kastell, in dessen Nähe sich heute das einsame Gasthaus “Zum Schlögenwirt” erhebt. Und wiederum in der letzten Zeit ist der Name oft genannt worden als jener Punkt, wo die vielzitierte “Nibelungenstraße” das malerische Donautal verlassen soll, um über die aussichtsreiche Höhe von Laibach der alten Stadt Eferding und Linz zuzueilcn.
In den letzten Wochen hat Schlögen eine neue “Berühmtheit” erlangt, die auf den ersten Blick eine traurige zu sein scheint: hier ist das erste österreichische Bettlerlager entstanden.
Linzer Volksblatt, 5. September 1935

Repressivmaßnahmen in Form von Zwangsarbeitsanstalten und Haftlagergesetzen gegen Arbeitsscheue, Vaganten und Bettler sind von der frühesten Neuzeit an bis ins 20. Jahrhundert bekannt. Zu den Arbeitsscheuen kamen jedoch in den dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts jene, die die Not, das heißt die Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit, genauer gesagt die gravierende Verschlechterung der Unterstützungssituation, das verstärkte Wegfällen staatlicher Unterstützungen, massenweise auf die Straße getrieben hatte. Zum sozialen Problem gesellten sich somit durch diese Wanderbewegung polizeiliche und sicherheitspolitische Aspekte, die, weil wesentlich sichtbarer und vordergründiger, für viele Bewohner, Zeitungsleute und Politiker den primären Stellenwert in ihrer Argumentation einnahmen.

1935 maßen die zuständigen ständestaatlichen Politiker dem Bettler- und Landstreicherunwesen, wie die damalige gängige Bezeichnung lautete, so große Bedeutung bei, daß in insgesamt drei Länderkonferenzen über Maßnahmen zur Abhilfe des Wanderbettels beraten und eine Heimatgesetznovelle beschlossen wurden. Diese Länderkonferenzen rüttelten jedoch nie an den grundsätzlichen Schwachpunkten des Fürsorge- und Wirtschaftssystems, denn staatliche Rahmenbedingungen für die einzelnen Länder wurden nie ausgearbeitet; die beschlossenen Notlösungen – zum Beispiel das Bettlerhaftlager in Oberösterreich – brachten oft Erleichterungen für ein Land auf Kosten polizeilichen Maßnahmen in die Armenpolitik des 19. Jahrhunderts zurück. Es muß jedoch gesagt werden, daß die Teilnehmer dieser Länderkonferenzen die Schwachstellen und die Rückständigkeit der österreichischen Armengesetzgebung sowie die Halbherzigkeit ihrer Lösungsversuche klar erkannten. Ihre Debatten bewiesen, daß eine Neuschöpfung des Armenwesens, vor allem das Abgehen vom existierenden Heimatrechtsprinzip zugunsten des Aufenthaltsprinzips in der Armenfürsorge, notwendig war. Insbesondere erkannte man die Dringlichkeit, nach neuen, stärkeren Fürsorgeträgern, als es die Gemeinden waren, zu suchen, beispielsweise in Fürsorgebezirken, in landes- oder bundesweiten Organisationen. Für wichtig hielt man ferner ein gesamtstaatliches Vorgehen und nicht länderweise Maßnahmen, wie sie zum Beispiel Oberösterreich mit seinem Bettlerhaftlager ergriffen hatte.

Ein Ergebnis der Länderkonferenzen war die Änderung des § 28 betreffend die Regelung der Heimatrechtsverhältnisse (Heimatgesetznovelle 1935). Diese legte die Einführung eines Unterstützungsausweises fest, der dem Inhaber desselben auf seiner Wanderschaft bestimmte Unterstützungen garantierte, die in den Ausweis eingetragen wurden. Da die Armenfürsorge damals Sache der Heimatgemeinde war, konnte die Unterstützungsgemeinde ihre Ausgaben für einen Unterstützungsausweisinhaber in dessen Heimatgemeinde einfordern, was angesichts der Tatsache, daß 40 Prozent der Bevölkerung ihren ordentlichen Wohnsitz nicht in der Heimatgemeinde hatten, zu einer beträchtlichen Verwaltungslast führte. Daher die wiederholten Versuche bei den Länderkonferenzen, die Bundesländer zum Verzicht auf diese Ausgleichszahlungen zu bewegen, was wiederum an der Kirchturmpolitik der Länder scheiterte…