Irene Etzersdorfer: „Vorwärts zur Deutschen Freiheit“ Ideologische Entwicklungen des österreichischen Sozialismus im Untergrund und Exil

Einleitung: Unter dem Titel „Neue Aufgaben“ beschrieb im Pariser Exil 1938 eine Gruppe exilierter österreichischer Sozialisten ihre zukünftige Perspektive in ihrem theoretischen Organ Der Sozialistische Kampf: „Unsere Zeitschrift wird dem österreichischen Sozialismus dienen, indem sie ihren Beitrag zu leisten sucht zur geistigen, politischen und organisatorischen Erneuerung des gesamtdeutschen Sozialismus. (…) Bestimmt, an den Lösungen dieser großen Aufgabe mitzuarbeiten, wendet sich der „Sozialistische Kampf“ an die Gesamtheit der deutschen Sozialisten“.

Nach den „erschütternden“ Erlebnissen der Okkupation Österreichs im März 1938 ringe der internationale Sozialismus um „neue Erkenntnisse und Perspektiven“. Diese, so die Herausgeber, ließen sich unter der Parole „Vorwärts zur Deutschen Freiheit“ zusammenfassen. Wem angesichts dieser Formulierung Assoziationen zu den Forderungen des Revolutionsjahres 1848 einfallen, dem ergeht es ähnlich wie der Autorin dieses Artikels. Doch es wurde das Jahr 1938 geschrieben. So unterschiedliche Vorstellungen von diesem „Ringen“ auch existieren mochten, so klar umrissen war von Anfang an das Fernziel dieser „neuen Aufgaben“: aus der „Neuorientierung des internationalen Sozialismus“ sollte in einem Nachkriegsdeutschland — über dessen territoriale Grenzen noch zu sprechen sein werde — eine neue deutsche sozialistische Partei hervorgehen, in der auch die Erben des ehemaligen österreichischen Sozialismus integriert werden sollten.

Es ist eine weitverbreitete Eigenschaft des politischen Exils, neue Organisationsstrukturen zu suchen und zahlreiche theoretische und organisatorische Debatten daran zu knüpfen. Karl Marx und Friedrich Engels, obzwar selbst Exilierte, fanden ausschließlich verächtliche Worte über den politischen Betätigungsdrang deutscher politischer Gruppierungen im Exil: „Je mehr dieser Menschenkehrricht durch eigene Impotenz wie durch die bestehenden Verhältnisse außerstand gesetzt war, irgend etwas Wirkliches zu tun, desto eifriger mußte jene resultatlose Scheintätigkeit betrieben werden, deren eingebildete Handlungen, eingebildete Parteien, eingebildete Kämpfe und eingebildete Interessen von den Beteiligten so pomphaft ausposaunt worden sind.“

Marx und Engels gelang tatsächlich eine Neuschaffung, doch es war keine, die aus dem Erbe einer bereits seit Jahrzehnten etablierten Massenpartei hervorgehen sollte. Im Falle des österreichischen Exils zwischen 1938 und 1945 waren die exilpolitischen Aktivitäten von einem relativ kleinen Aktionsraum, den die meisten Gastländer den politischen Exilanten gewährten, abhängig…