Philomen Schönhagen: Zur Entwicklung der Unparteilichkeitsmaxime im deutschen Journalismus

Einleitung: In der ersten Nummer des Wienerischen Diariums — der späteren Wiener Zeitung — vom 8. August 1703 wurde eine Berichterstattung angekündigt, die einen „Kern derer hin und wider in der Welt merkwürdigsten I wahrhaftigsten / und allerneuesten I so schriftlich als gedruckter allhier einlaufender Begebenheiten ‘ bieten werde, „ohne einigen Oratorischen und Poetischen Schminck I auch Vorurtheil I sondern der blossen Wahrheit derer einkommenden Berichten gemäß“ (zit. n. Emil Löbl: Kultur und Presse. Leipzig 1903, 30.).

Diese Ankündigung mag auf den ersten Blick nicht weiter bemerkenswert erscheinen. Sie ist jedoch mehr als ein aus heutiger Sicht für manchen kurios wirkender und passend zum Tagungsort Wien gewählter Einstieg ins Thema. Hinter dieser und ähnlichen Ankündigungen, wie sie für das frühe Zeitungswesen ganz typisch und sehr verbreitet waren, verbirgt sich vielmehr ein zentrales journalistisches Konzept: das der Unparteilichkeit. Sogar einige der Handlungsregeln, in denen sich dieses konkretisierte, werden hier sichtbar: Eine sachliche, vorurteilsfreie Berichterstattung wird angekündigt, gemäß dem Prinzip des „relata refero“ (Dieses Prinzip besagt, daß die Mitteilungen sinngemäß so weitergegeben werden, wie man sie empfangen hat. Ich komme darauf weiter unten zurück. Es steht in engem Zusammenhang mit einer weiteren Vermittlungsregel: der Angabe der Quellen. Schon von Kaspar Stieler, in einer der frühesten Schriften zur Zeitung, werden diese Regeln ausgiebig diskutiert; vgl. Stieler, 1969, S. 57f. u. 27ff.; vgl. dazu auch Schönhagen, 1998; Berns, 1976, S.202-233, hier 110). …