Einleitung: „Die Reihen der sich meldenden Journalisten wurden immer dichter. Von überall kamen sie: aus dem KZ, aus der Untergrundbewegung der Heimat, aus den Widerstandsbewegungen des von den Nazi besetzten Auslandes, aus den Reihen der alliierten Truppen, aus der Kriegsgefangenschaft und aus der Dienstverpflichtung“ (LFB-Zentralorgan der Gewerkschaft der Angestellten der freien Berufe. I u. 2/1946, S. 18).
So charakterisierte die Zeitschrift der Gewerkschaft der Freiberufler im Sommer 1946 die Gruppe der Anwärter auf den Journalistenberuf. Doch war der Journalismus der ersten Nachkriegsjahre kein Metier, das Widerstandskämpfern große Chancen cröffnete. Im Jahr 1985 stellte der Kommunikationswissenschafter Fritz Hausjell richtig, daß jene Zeitungsmitarbeiter, „die ausschließlich in der Presse vor 1938 bzw. vor 1933/34 be schäftigt waren, weil sie danach ins Exil mußten, in andere Berufe abwanderten, in Konzentrationslagern inhaftiert oder in die Illegalität des Widerslands gegangen waren (…) lediglich ein Drittel der dann in den Jahren 1945 his 1947 tätig gewesenen Tageszeitungsjournalisten aus(machten). Dagegen verfügten am Beginn der Zweiten Republik insgesamt 37,1 % über publizistische Erfahrungen unter dem NS-Regime oder in anderen faschistischen Staaten“ (Hausjell, 1986, S. 67).
Dennoch muß darauf hingewiesen werden, daß die österreichische Journalistengewerkschaft ab 1945 eine recht aufwendige Entnazifizierung der Journalisten durchgeführt hat. Ab Mai 1945 mußten schreibwillige Journalisten einen einseitigen Anmeldebogen ausfüllen, der u.a. Fragen zu NSDAP-Milglied- oder Anwärterschaft beinhaltete. Ehemalige Nationalsozialisten sollten von der Mitarbeit an Zeitungen und den meisten Zeitschriften ausgeschlossen werden. Ab Ende Februar 1946 kam es zu einer Neuerfassung der Gewerkschaftsmitglieder. Aufnahmewerber, aber auch bereits aufgenommene Mitglieder waren verpflichtet, einen neuen, vierseitigen Personal-„Fragebogen“ sowie eine „Mitglieds-Anmeldung“ auszufüllen. Die Journalisten- gewcrkschaft hatte außerdem mit dem „Verband österreichischer Zeitungsverleget“ (VOZ) eine Vereinbarung getroffen,“wonach Personen, deren Aufnahme in die Journalistengewerk- schaft abgelehnt wurde, nicht als Journalisten beschäftigt werden sollten“ (Brief an den VÖZ, 28.6.1948, in: JG-Personalakt Ludwig Josef Schüssel).
Nichtmilglieder konnten nur in Einzelfällen erfaßt werden. Da jedoch mehrere Journalisten, die nicht gewerkschaftlich organisiert waren, bei Tageszeitungen mitarbeiteten, ist anzunehmen, daß die Mitgliedschaft in der Journalistengewerkschaft nicht verpflichtende Berufsvoraussetzung war.
Vor allem in Wien wurde der Grundsatz, keine ehemaligen Angehörigen der NSDAP in die Journalistengewerkschaft aufzunehmen, weitgehend berücksichtigt. In anderen Bundesländern, z.B. in Vorarlberg, nahm der entsprechende Landesverband der Journalistengewerkschaft auch schon vor der Minderbelastetenamnestie 1948 NSDAP-Mitglieder auf (Hausjell, 1986).
Das Nationalsozialistengesetz aus dem Jahr 1947 hatte u.a. noch die Bestimmung enthalten, daß sich Minderbelastete bis zum 30. April 1950 nicht „an der Gestaltung des Inhalts einer Zeitung mit Ausnahme von Fachzeitschriften, einer Zeitungskorrespondenz oder eines Sammelwerkes durch Beiträge beteiligen“ (Bundesgesetzblatt 25/1947) dürfen.
Durch das Drängen der österreichischen Regierung und das anschließende Einlenken der Besatzungsmächtc kam 1948 eine Teilamnestic für Jugendliche und Min- dcrbclastetc zustande, die am 21. April vom Nationalrat beschlossen und am 28. Mai vom Alliierten Rat mit der erforderlichen Einstimmigkeit genehmigt wurde. Mehr als 90 % der registrierten österreichischen Nationalsozialisten waren davon betroffen. Es ist anzunehmen, daß sich auch Journalisten unter ihnen befanden, denen durch diese Amnestie der Zugang zu ihrem Beruf wieder ermöglicht wurde. Hausjell wies in seiner Dissertation daraufhin, daß die Frage „ob und in welchem Umfang in Österreich ab 1948 durch die Min- derbclastetcnamnestie Journalisten, die Mitglieder der NSDAP waren, in den Journalistenberuf zurückkehrten (…) hier leider nicht beantwortet werden“ (Hausjell, 1989) kann.
Anhand von vier Wiener Tageszeitungen – zwei von ihnen wurden im Jahr 1948 gegründet – sollen hier die Auswirkungen dieser Amnestie auf den österreichischen Tageszeitungsjournalismus exemplarisch aufgezeigt werden. Die ausgewählten Blätter decken das damalige politische Spektrum folgendermaßen ah: Die Arbeiter-Zeitung als Parteiorgan der SPÖ, Der Abend als KP-nahe Boulevardzeitung, die (Neue) Wiener Tageszeitung als „großes“ Parteihlatt der ÖVP und schließlich Die Presse als Beispiel für die um 1948 entstehenden „unabhängigen“ Blätter.
Die Jahre zwischen 1948 und 1950 weisen in verschiedener Hinsicht Signifikanz auf. Im Herhst 1949 fand die zweite Nationalratswahl seit der Befreiung 1945 statt, die erste, an der die ehemaligen Nationalsozialisten teilnehmen konnten. Etwa ein halbes Jahr früher, im Februar 1949, hatte sich in Salzburg eine neue Partei konstituiert, die dann im Oktober auf Anhieb 16 Mandate erreichte: der VdU (= Verband (.1er Unabhängigen, kandidierte als WdU, Wahlpartei der Unabhängigen), geführt von zwei Journalisten, Dr. Herbert A. Kraus und Dr. Viktor Reimann.
Weltpolitisch gesehen befand sich der Kalte Krieg zwischen den beiden Großmächten USA und Sowjetunion um das Jahr 1950 auf einem gefährlichen Höhepunkt. Die Krise spitzte sich international in Form des Koreakrieges zu. In Österreich wirkte sich der Konflikt vor allem im Endlos-Poker um den Staatsvertrag aus, aber auch in Zusammenhang mit einer landesweiten Streikbewegung Ende Septem bcr/An fan g Oktober 1950, die heute unter dem Titel „Kommunistenputsch“ bekannt ist, da sie – so die gegenwärtig noch immer vorherrschende Ansicht – von den österreichischen und sowjetischen Kommunisten inszeniert worden sein soll (Zu den unterschiedlichen Einschätzungen des „Putsches“ siehe vor allem: Ludwig, Mulley & Streibel, 1991).
Alle diese Faktoren beeinflußten entscheidend die Entwicklung der österreichischen (Tages-)Presse. Es scheint daher sinnvoll, nicht nur die personelle Zusammensetzung der Redaktionen zu eruieren, sondern auch die Inhalte und somit die Schreibweise der Blätter in die Analyse zu integrieren.
Die Untersuchung gliedert sich also in zwei Teile:
- in eine Erforschung der beruflichen und politischen Herkunft der journalistischen Mitarbeiter;
- in eine Untersuchung der inhaltlichen Ebene.
Um diese Inhaltsanalyse durchführen zu können wurden drei Themenkreise ausgewählt, zu denen sich die Wiener Journalisten äußerten.
- Verbot der „Verfassungstreuen Vereinigung für Österreich“ wegen neonazistischer Betätigung im September 1948 sowie das Verbot von deren Organ „Alpenländischer Heimatruf“ im Oktober 1948
- Zehnte Wiederkehr des Jahrestages des Beginns des zweiten Weltkrieges im September 1949
- Fünfte Wiederkehr des Jahrestages der Befreiung Wiens vom Nationalsozialismus im April 1950.
Das Motiv dieser Arbeit entspringt der zentralen Frage nach dem Beitrag des österreichischen Journalismus zur Überwindung der schrecklichsten Periode dieses Landes. Anhand der Berichterstattung zu den genannten Ereignissen soll festgestellt werden, ob die (Wiener) Tagespresse in den späten 40er-Jahren den von den Alliierten geforderten Beitrag zur Demokratisierung der Gesellschaft geleistet hat. Weiters soll erforscht werden, ob und in welcher Weise ein Zusammenhang zwischen der Herkunft der Journalisten und den Inhalten „ihrer“ Zeitungen besteht. …