Elisabeth Lerchner: „Schmutz-und Schundkampf“ und Jugendbuchkultur in Österreich nach 1945

Einleitung: Kindliche Lesestoffe genossen in Österreich nach 1945 besondere Aufmerksamkeit. Was Kinder und Jugendliche lesen sollten und durften, beschäftigte nicht nur Eltern, Lehrer und Bibliothekare. Rund um die Auswahl und Verbreitung von „wertvoller“ und die Bekämpfung von „minderwertiger“ Kinderliteratur wurden überparteiliche und konfessionelle Vereine gegründet, ministerielle Kommissionen und Preise eingerichtet, Anzeigen erstattet, Gesetzesanträge eingebracht, Bezirksschulinspektoren auf Werbetour für das „gute“ Buch geschickt, Aufrufe verfaßt und Unterschriften gesammelt.

Was diese Betriebsamkeit in Sachen Kinderliteratur auslöste, war die kulturelle Krise, die einige um die Jugend und das Buch besorgte Personen in der unmittelbaren Nachkriegszeit wahrnahmen. Richard Bamberger, wohl die Schlüsselfigur der „Jugendbuch-Szene“, Gründer von zahlreichen Einrichtungen zur Förderung „guter“ Jugendliteratur und über dreißig Jahre auch einziger Jugendbuchtheoretiker hierzulande, erstellt eine „Diagnose des Ungeistes der Zeit“, indem er eine „Preisgabe innerer Werte und wertvoller Lebenssubstanzen“, eine „Ver- armung des Innenlebens“ , einen „Verlust des Kulturdenkens“ sowie eine Kultur, die „vom nicht kultivierten Geschmack“ bestimmt ist und „im Materiellen zu ersticken droh(e)“, ortet. Katholische Kreise, die sich um das „gute“ Kinder- und Jugendbuch bemühen, sprechen gar von „einer Welt am Rande des Abgrunds“ und einer „Verwirrung im Geistigen“. Daß dieser Krise der Kultur und Werte ausgerechnet mit Jugendliteratur begegnet werden sollte, liegt einerseits in dem Glauben, daß diese Krise „letzten Endes nur durch die Jugend überwunden werden“ könne, andererseits wohl an der fast „wunderbaren Wirkung“, die der Lektüre im Positiven wie im Negativen unterstellt wurde.

Die Folgen der großen Tragödie der jüngsten Vergangenheit und der Krisenerscheinungen unserer läge können nur dadurch endgültig überwunden werden, daß die Jugend wieder zu den bleibenden Werten des Lebens findet: zu Menschlichkeit, zur Freude am Schönen und Guten, zu Friedensliebe und Demokratie, kurz, zu einem schöneren und tieferen Lebensgehalt. Eine wirksame Hilfe zu dem Wege zu diesen hohen Zielen bietet das gute Jugendbuch!

Das Buch wird nicht nur inhaltlich als ein Mittel zur Persönlichkeitsbildung, als ein „Helfer zu gesunder Lebenshaltung“ betrachtet, das Buch wird darüberhinaus als das geeignete Medium angesehen, die in der Zeit diagnostizierte Vermassung und Gleichmacherei abzuwehren, da der Umgang mit ihm im Gegensatz zu anderen Medien an sich ein individueller sei.

Umso schmerzlicher dürfte daher eine der „auffallendsten Erscheinungen der Nachkriegszeit“ gewesen sein – das „massenhafte Auftreten der Zeitungsstände in unseren Städten“, die ebenso massenhaft „Schund“ verbreiteten, während die Produktion von Büchern, denen man so grandiose Bedeutung beimaß, speziell in Österreich aufgrund von Papiermangel darniederlag. Papier für Heftchen und Zeitschriften hingegen wurde auf dem Schwarzmarkt besorgt…