Edwin Hartl: Nostalgie und Vergangenheitsbewältigung

Einleitung
Unter Nostalgie verstand man früher einmal – noch rein medizinisch – einen seelischen Defekt, nämlich das krankhafte Heimweh. Sie leitet sich ja von dem griechischen Wort Nostos ab, zu deutsch Heimkehr, und schon in der Antike wurde damit auch ein Gedicht bezeichnet, das die Heimkehr der Helden aus Troja behandelt, also die Odyssee. Der patriotische Akzent des Ausdrucks ist somit uralt und universell. Hierzulande freilich wird er innig mit dem verknüpft, was wir – allzugern – Tradition nennen. Einigermaßen skeptisch sagt man uns oft genug nach: Österreichs Zukunft liege in seiner Vergangenheit.

Umso schwerer fällt es waschechten Bewohnern dieses Landes, ein Verlangen zu befriedigen, das vor bald vierzig Jahren aufgekommen ist: die sogenannte Vergangenheitsbewältigung. Jahrestage feierlich begehen, das können wir. Jedes Jubiläum wird großartig bejubelt und kaum jemals kleinlich überprüft: ob es den feierlichen Jubel denn auch verdiene. Allerdings hat es einst einen als zynisch verrufenen Wiener gegeben, der mit ironischem Befremden in der heimatlichen Presse Tag für Tag las, wie sehr die Prominenten tagaus tagein alle Hände voll zu tun haben, um einander gegenseitig als Jubilare zu gratulieren und zu feiern, so daß er sich – beinahe hinterhältig – fragen mußte, wann und wieso sie denn eigentlich Zeit gefunden hätten, daneben noch derart viel zu leisten, daß sie prominent werden konnten. Aber das war eben ein Einzelgänger, wie er in den familiärsten Familien vorkommt. Kurzum: So etwas kann hie und da Vorkommen. …