Andreas Scheu & Thomas Wiedemann: Kommunikationswissenschaft als Gesellschaftskritik Die Ablehnung linker Theorien in der deutschen Kommunikationswissenschaft am Beispiel Horst Holzer

Einleitung:

Forschungsinteresse

Das Bild der deutschen Kommunikationswissenschaft im Ausland, vor allem auch in Amerika, scheint immer noch geprägt von der „Kritischen Theorie“ – die Werke von Horkheimer, Adorno, Benjamin und Löwenthal gelten zum Beispiel bei Katz et. al. als „canonic texts in media research“ (Katz, 2003). Im Gegensatz hierzu zeigt die aktuelle deutsche Kommunikationswissenschaft kaum Interesse an dieser Theorietradition. Die Begriffe Adorno, Kulturindustrie und Frankfurter Schule sind in den Lehrbüchern des Faches entweder gar nicht erst enthalten, oder es wird nur sporadisch auf diese verwiesen (Meyen & Löblich, 2006). Vor allem in den 1970er Jahren entstanden aber zahlreiche Arbeiten, die unter dem Etikett „Kritische Kommunikationswissenschaft“ zusammengefasst werden können. Anstöße kamen hierbei aus der Kommunikationswissenschaft selbst, zum Beispiel von Jörg Aufermann, Franz Dröge oder Manfred Knoche, oft aber auch von „außen“, von Soziologen wie Horst Holzer oder Dieter Prokop. Diese Bemühungen blieben allerdings erfolglos. Es konnte sich keine „kritische“ Perspektive etablieren. Für Horst Pöttker spricht deshalb auch die Tatsache, „dass es in der deutschen Kommunikationswissenschaft weit und breit keine Marxisten gibt, […] nicht für den Pluralismus unseres Wissenschaftssystems“ (Pöttker, 2007).

Das Scheitern einer „Kritischen Kommunikationswissenschaft“ betrachten wir im Folgenden anhand des Falles Horst Holzer (1935 bis 2000). Eine exemplarische Analyse bietet den Vorteil, den Einzelfall in seiner ganzen Tiefe betrachten zu können, was dabei hilft, komplexe Zusammenhänge zu verstehen, Muster zu erkennen und Hypothesen zu generieren. Holzer, der selbst bei Horkheimer und Adorno studiert hatte, beschäftigte sich zeitlebens mit dem Gegenstandsbereich Massenkommunikation und hat insgesamt vierzehn Bücher und 49 Aufsätze, also über die Hälfte seiner Arbeiten, zu diesem Thema publiziert. Damit muss er in der deutschen Kommunikationswissenschaft verortet werden. Hierfür spricht auch, dass Wolfgang Langenbucher 2000 einen Nachruf in der Publizistik veröffentlicht hat (Langenbucher, 2000). Das Ziel dieser Untersuchung besteht darin, soziale und werkimmanente Rezeptionsbarrieren zwischen dem Akteur Holzer und seinen Arbeiten auf der einen und der deutschen Kommunikationswissenschaft auf der anderen Seite zu identifizieren.

Die Bewertung von Theorien gehört nach Thomas S. Kuhn zur „disziplinären Matrix“ (1973, S. 287) einer Wissenschaft. Die Analyse von Rezeptionsbarrieren gibt demnach Aufschluss über gültige Paradigmen, Identität stiftende Normen und den Zusammenhang zwischen der Ideen- und der Sozialgestalt eines Faches. So trägt die exemplarische Untersuchung der kommunikationswissenschaftlichen Rezeption Holzers zur Selbstreflexion des Faches und zum Verständnis der eigenen Geschichte bei. Dies sind Funktionen von Fachgeschichte, welche die Zukunftsfähigkeit des Faches erhöhen (Koivisto & Thomas, 2007). …