Editorial 3/2017 Gaby Falböck, Julia Himmelsbach & Thomas Ballhausen

„Hundert Jahre Zweisamkeit“ – Liebeskommunikation und Liminalität seit 1918 – die vorliegende Ausgabe von medien & zeit versammelt Beiträge zu einer Facette des, wenngleich schwer zu fassenden und doch vielbeforschten Themas „Liebe“, die in bisherigen wissenschaftlichen Untersuchungen zumeist kaum berücksichtigt wurden: Im Fokus stehen die Phasen der Annäherung, des Übergangs, der Veränderungen in Liebesbeziehungen und die medial vermittelte Darstellung dieser Transgressionen sowie der Rolle, die Medien bei der Rahmung dieses Prozesses spielen.

Liebe und damit einhergehend Liebeskommunikation firmiert in seiner fiktionalen Ausprägung seit der Entstehung des Konzepts der romantischen Liebe als Bindeglied zwischen (Ehe-)PartnerInnen und der damit einhergehenden Veränderungen der Zuschreibung von Ehe als bloße Wirtschaftsgemeinschaft als eines der zentralen Themen der Kunst wie – kompakter transformiert – der medial vermittelten Unterhaltung. Kurzum: Im Fernsehen war “Liebe“ als Erzählstrang in fiktionalen Geschichten schon immer da. Wie Gerd Hallenberger ausführt, erweist sich die diesbezügliche Geschichte in non-fiktionaler Form und innerhalb der sich daraus entwickelnden Genres erheblich überschaubarer. Der Autor eröffnet diese medien & zeit Ausgabe mit einem Streifzug durch die deutsche Fernsehgeschichte mit Fokus auf jene TV-Programmangebote, in denen gekuppelt, getändelt und auf Kompatibilität geprüft wird. Die Übergänge, die in diesen Formaten begleitet wurden und werden, reichen von der „bloßen“ Liebesbeziehung zur sozial anerkannten Ehe, vom Single zur PartnerInnenschaft und in Ausnahmefällen auch von der Ehe zur Trennung. Hallenberger zeichnet diese Entwicklungsgeschichte von Unterhaltungsformaten – von der Quiz- und Spiele- zur Talkshow bis zur finalen Reality-TV-Nachmittagsprogrammschiene – vor dem Hintergrund struktureller Veränderungen der Fernsehbranche – vom Staatsfernsehen zum dualen Rundfunk bis zum digitalen Fernsehen heute – wie dem gesellschaftlichen Wandel nach. Er illustriert damit, wie die stabile, angesichts der keineswegs leeren Floskel – bis dass der Tod euch scheidet – mitunter erdrückende Ehe der 50er-Jahre bis zur ihrer Romantik entzauberten, dafür hochsexualisierten und selbst in emotionalen Belangen hochflexiblen Sozietät der Gegenwart ihre Entsprechung in Fernsehsendungen findet.

Auch Christoph Jacke und Christina Flieger fragen zunächst, ob selbst im Popsong – wie der kursorische Blick auf die gegenwärtige Entwicklung vermuten lässt – die Euphorie des Verliebt-Seins einem nüchternen Realismus gewichen ist. Wenngleich die beiden Paderborner Kultur- und KommunikationswissenschafterInnen Popmusik als Seismograph für gesellschaftliche Strömungen begreifen (Jacke 2006) lassen sie diese Frage in ihrem Beitrag für medien & zeit empirisch unbeantwortet. Ihr Interesse gilt vielmehr der bereits bestehenden Forschung zur Rezeption von Popmusik und ihrer Funktion in Liebesbeziehungen wie in Phasen des mitunter auch konkreten körperlichen Annäherns. Ausgangspunkt sind Fragen nach dem „Warum brauchen wir Musik?“ und damit Befunde, die Musik als Weiterentwicklung des menschlichen wie tierischen Balzverhaltens begreifen, in dem qua Tönen Aufmerksamkeit generiert und damit die Attraktivität erhöht, in weiterer Folge auch Bindung gestiftet wird. Musik fungiert – wie diese Synopse zeigt – nicht nur als Steuerungsinstrument in der Phase der ersten Annäherung, sondern dient auch im weiteren Beziehungsverlauf als Stimulanz – für sexuelle Begegnungen, Anregungen für Gespräche um der zerstörerischen Kraft der Habitualisierung entgegenzuwirken wie als identitätsstiftendes Moment des Paares generell. Als Exkurs erhellen sie auch das, einer romantischen Verliebtheit ähnliche Beziehungssystem Star-Fan. Während der/die MusikerIn ihre/seine romantischen Erfahrungen zu Lovesongs verarbeitet, rahmen die daraus entstehenden Songs nicht nur die romantischen Begegnungen der Fans, sondern werden die SängerInnen oft auch zu Rolemodels, die Identität für das Beziehungs(er)leben stiften.

Romantische Begegnungen und Annäherungen werden nicht nur von auditiven Wahrnehmungen bestimmt, sondern auch von atmosphärischen Bedingungen, konkret räumlichen Gegebenheiten beeinflusst. Gut einseh- und überschaubare Räume ermächtigen – wie bereits Michel Foucault konstatierte – zu stetem Überwachen und Strafen, verhindern im öffentlichen Raum schließlich Annäherung und Austausch. Beitrag drei der vorliegenden medien & zeit Ausgabe ist eine Debatte über Liebeskommunikation im öffentlichen Raum, die die RedakteurInnen dieser Ausgabe gemeinsam mit drei Wiener StadtforscherInnen Lisa Wachberger, Maximilian Brustbauer – Herausgeberin und Chefredakteur des Magazin stadtform – sowie Erik Meinharter – Redakteur und Mitbegründer von dérive – Zeitschrift für Stadtforschung – führten. Konsumorientierung und Videoüberwachung einerseits, offen kommunizierte und gruppenimmanente Regelwerke in offenen Räumen andererseits, Alter und Raumeroberung sowie Einschreibungen von Liebesbekundungen im öffentlichen Raum waren Inhalte, die das fruchtbare Gespräch bestimmen sollten.

Dass die Übergänge oder Transgressionen in Liebesbeziehungen die Prüfsteine des gemeinsamen Weges sind und dass in Liebesfilmen als emotionaler Gipfelpunkt inszenierte Liebesgeständnis erst der Anfang ist, wird im Genre des Liebesdramas deutlich ins Licht gerückt. Lioba Schlösser nimmt vier solcher Dramen in den filmanalytischen Blick und leuchtet dabei die diversen Formen der Grenzüberschreitungen in den dargestellten Transgressionen innerhalb von Liebesbeziehungen aus. Der Übertritt vom autonomen Leben in die Hilfsbedürftigkeit und letztendlich den Tod (Liebe, 2012), der Wechsel der Geschlechtsidentität (A Danish Girl, 2015) und die Folgen dieses Handelns (To Die Like A Man, 2009) sowie das Verschwinden der Liebe (Love, 2015) sind existentielle Übertritte, die – wie Schlösser nachzeichnet – in ihrer Tragweite die menschliche Energie in Grenzbereiche und bis zu moralischen Tabubrüchen antreibt. Schlösser begreift in ihrer Beschäftigung nicht nur Phasen einer Liebesbeziehung als liminal, sondern auch Befindlichkeiten und Situationen einzelner Personen. Die Beziehung von Liminalität und Liebe zeichnet sich durch Ambiguität aus: Liebe kann motivieren, Liminalität zu überwinden; Liminalität kann aber auch als vermeintliche Kontinuität, in der ProtagonistInnen anstreben zu verweilen, auftreten. Als auffälligste Gemeinsamkeit zeigt sich in der Analyse der Tod, welcher sowohl Teil wie auch Ende der Transgression darstellt.

In der Research Corner unternimmt Bianca Burger eine historische Rückschau in eine Ära, in der wiederum das Thema Reproduktion des Volkes und Hygiene des Körpers auf die politische Agenda gelangten: Im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert erfuhr die Ratgeberliteratur zum Thema „Ehehygiene“ in Konsequenz der diesbezüglichen politischen Bemühungen eine Konjunktur. Burger wählt die in vielfacher Auflage erschienenen, ob ihrer Relevanz auch in andere Sprachen übersetzten Werke der Individualpsychologin Sofie Lazarsfeld sowie des Mediziners Theodoor Hendrik van de Velde um die Unterschiede und Gemeinsamkeiten in den Konzepten von Ehe, den Zielen dieser sozial so relevanten Verbindung wie vor allem den Empfehlungen für einen erfolgreichen gemeinsamen Weg herauszuarbeiten. Wenngleich Sexualität in beiderlei Ausführungen eine relevante Rolle spielt, wird – wie Burger aufzeigt – die Basis für erfüllte Körperlichkeit anderswo verortet ebenso wie die AutorInnen in ihren Strategien zur Anleitungen für ein erfülltes Sexualleben voneinander abweichen.

Die sprachliche Verhandlung von Sexualität stellt für den Philosophen Roland Barthes einen Grenzbereich des Sprachlichen dar. Nicht zuletzt in seinem Klassiker Fragmente einer Sprache der Liebe macht er dies sehr deutlich. Mit diesem Trostbuch der unglücklich Liebenden und glücklich Lesenden hat er einen Bestseller der Theorie vorgelegt, der weit über das akademische Feld hinaus ein Publikum gefunden hat. Der aktuelle Schwerpunkt ist uns Anlass, die nun auch in deutscher Sprache vorliegende erweiterte Fassung seines wohl erfolgreichsten Werks in einer gegenwärtigen Perspektive zu untersuchen und damit den Startpunkt für eine Serie unregelmäßig erscheinender Relektüren zentraler Texte der Mediengeschichte vorzulegen.

Das HerausgeberInnen-Team ist davon überzeugt, dass Liebeskommunikation scheitert und funktioniert – eben weil es die Liebe gibt.

Gaby Falböck, Julia Himmelsbach & Thomas Ballhausen