Editorial 4/2020

Gaby Falböck, Erik Bauer & Thomas Ballhausen

you had to sneak into my room
just to read my diary
Morrissey: Suedehead

Tagebücher sind als literarische Textsorte wie auch als historische Quelle von besonderer
Bedeutung für die medien- und kommunikationshistorische Forschung. Gleichermaßen abgegrenzt von wie auch verwandt mit anderen Ausdrucksformen (z.B. Journal, Notizbuch) finden sich im Tagebuch, je nach Beispiel, künstlerischer Gestaltungswille, Kommentar des
Allgemeinen und Reflexion des Intimen miteinander verbunden: Als medien- und eben auch
literaturgeschichtliche Konstante haben sie, so die Forschungsliteratur, spätestens mit dem 18. Jahrhundert den Rückzug ins Private begleitet und ab der Moderne neue Formen von Öffentlichkeit – und damit auch von Veröffentlichung im medienübergreifenden Sinne – für sich reklamiert. In der Aushandlung eines neuen Verständnisses von Subjekt als auch von Subjektivität finden sich in diesen vielschichtigen Quellen Fragen des Erlebens, der Wertung, Orientierung und der Sinnstiftung entlang einer Verschriftlichung bzw. medial gestützten Konkretisierung von Zeit gebündelt. Diese Vielfältigkeit und nicht zuletzt die thematisch-formale Bandbreite, die sich in Tagebüchern potentiell abgeformt sehen kann, machen zumindest einen Teil ihres
charakteristischen, aus wissenschaftlicher Sicht nicht zuletzt auch problematischen Reizes aus. Die zugeschriebene Unmittelbarkeit der chronologischen Dokumente, denen erst verhältnismäßig spät auch der Status eines Werkes zugebilligt wurde, überblenden die sogenannten großen historischen Entwicklungen, die als solche oftmals erst retrospektiv als diese festgeschrieben wurden, und die individuellen Ereignisse, die Sorgen, Erfolge und Routinen. Das Ansinnen einer Fassbarmachung des Lebens – die sich beim (Wieder-)Lesen dieser Texte ebenso einstellt wie beim eigentlichen Moment der Niederschrift bzw. im Rahmen nachgereihter, z.B. editorischer Prozesse – ist, unabhängig vom ästhetisch-literarischen Eigenanspruch, als eine Form von Erkenntnisarbeit verstehbar. Das Tagebuch bietet Vergewisserung, Rückhalt oder auch Rückzug, in den düstersten Zeiten ist es der letztmögliche, innerste Dialog. Dem Feld des Biographischen zugeschlagen knüpfen sich aber nicht nur Entwürfe von Geheimnis, Schreibakt oder Bekenntnis daran, sondern, insbesondere mit dem Einrechnen einer vorsätzlich adressierten und vermehrt erreichten Öffentlichkeit im Sinne von Publikum, auch von Inszenierung, Gebrauch und Sichtbarkeit.

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