Einleitung: Ganz allgemein, gesellschaftsgeschichtlich gesehen, stellt sich für den Zeitgeschichtler – oder genauer: den Gegenwartshistoriker – das Problem, daß der Fernsehjournalismus, den Vorgaben seines Mediums folgend, eine Art Gegenwarts-Chronist (Lacouture, 1978; Paillard, 1986) zwischen Journalismus, Geschichtswissenschaft und Soziologie ist, der in Stundenfrist, bestenfalls oft innerhalb von wenigen Tagen seine Berichte zusammenstellt. Öderer hat überhaupt vor Ort zu sein, wenn die „Mauer“ fallt, die Scud-Raketen einschlagen oder das Ausländerheim medienwirksam in Flammen aufgeht. In diesem Sinne macht das Fernsehen, in einer mehrfachen Weise, Zeitgeschichte: Es beeinflußt die Handlungen der zuhause zusehenden Berliner oder Rostocker, die noch in der Nacht auf die Straßen eilen, oder den amerikanischen Präsidenten, der eindrucksvoller, als seine militärischen Geheim- und Nachrichtendienste es können, Zeuge seiner politischen Entscheidungen und der Handlungen seiner Gegner wird. Die Botschaft vom Tod Ludwigs XIV. benötigte noch mehr als zwei Monate um in der Auvergne, kaum 400 Kilometer von Versailles entfernt, bekannt zu werden (Nora, 1977), 1986 verfolgten viele Millionen Zuschauer zeitgleich die Explosion des Space Shuttles mit sieben Astronauten an Bord. Die Bilder hievon, in einem wörtlichen Sinn verstanden, sind es, die sich in der Erinnerung ganzer Generationen einprägen und als „Geschichtsbilder“ (Maimann, 1984; Schmid, 1986) das kollektive Geschichtsbewußtsein bestimmen. Nicht nur Medienhistoriker, sondern auch Historiker und Zeitgeschichtler haben es in Hinkunft damit zu tun, sei es wenn sie Aufzeichnungen hievon als Quellen für sogenannte Ereignisse analysieren, sei es wenn sie „Geschichtsbilder“ oder Geschichtsmentalitäten des 20. Jahrhunderts untersuchen, oder methodisch-kritisch jenen geschichtsbewußtseinsbildenden Prozeß, in dem Fernsehjournalisten und -Stationen heute „Ereignisse“, „Zeitgeschichte“ oder auch „Nicht-Geschichte“ machen, auf die Spur zu kommen versuchen (de Certeau, 1986).
Kurz: Fernsehen ist Zeitgeschichte, es beeinflußt den Ablauf der Zeitgeschichte, und es macht Zeitgeschichte in Sinne von zentralen Quellenbeständen der Zeitgeschichte und im Sinne von höchst wirkungsvollen Darstellungen der Zeitgeschichte. …