Call for Papers: Europäische Geschichte(n) des Auditiven / European History(s) of the Auditory

medien & zeit 3/2023

Herausgeber*innen: Gaby Falböck, Norbert Feldinger, Fritz Hausjell, Christina Krakovsky

Einreichung von Abstracts: 31. Mai 2022
Einreichung von Full Papers: 31. November 2022
Veröffentlichung der Ausgabe: Frühestens in Ausgabe 3 von 2023
Einreichungen bitte per email: cfp@medienundzeit.at

CfP mz 2023-3 EN.pdf
CfP mz 2023-3 DE.pdf

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Horchen – Gehorchen – Zuhorchen – Aufhorchen – Hinhorchen. 100 Jahre Radiogeschichte lässt sich kaum auf eine Aneinanderreihung von Verben mit verändertem Präfix reduzieren. Und dennoch bieten diese Benennungen für auditive Wahrnehmung Anhaltspunkte für eine Beschäftigung mit dem einst als erstes elektronisches Massenmedium benannten Hörfunk. Während im Folgenden die Genese des Mediums in Österreich und Deutschland nachgezeichnet wird, intendiert die Ausgabe von medien&zeit 3/2023 Facetten dieser Geschichte in weiteren europäischen Ländern zu erhellen.

Horchen: Das menschliche Hörorgan ist passiv, bei Tag und Nacht auf Empfang gestellt, seit Urzeiten und damit instinktiv horchen wir auf allfällige bedrohliche Geräusche. Die Potenziale dieses Kanals zur Übertragung von Stimmen, Botschaften und Informationen, Tönen und Musik, Geräuschen und Atmosphären werden seit rund einem Jahrhundert und damit seit den Anfängen des Radios genutzt. Man erreicht damit – relativ voraussetzungslos, ohne Bedarf an Alphabetisierung und ohne materielles Trägermedium – viele und das über große Räume hinweg. Dies impliziert bereits die etymologische Herleitung des englischsprachigen Begriffs für Rundfunk – to broadcast – und damit das Streuen, auch für das Säen von Samen verwendet.

Gehorchen: Zunächst wurde diese Übertragungsmöglichkeit für militärische Zwecke eingesetzt. Der Physiker Heinrich Hertz bewies die Existenz elektromagnetischer Wellen, erkannte aber nicht deren Potenzial. Anders dagegen das Militär, das via Funkspruch weit entlegene militärische Verbände im 1. Weltkrieg kommandieren konnte. Spätestens mit Kriegsende wird aus dem Heeresgerät ein Kommunikationsinstrument und aus Funk Rundfunk. Dennoch: Die Verbreitung des Radiogerätes in Österreich und Deutschland erfolgte mit der Intention, die Hörenden gehorchen zu lassen. Die Nationalsozialisten sicherten mit dem leistbaren Gerät VE 301, gemeinhin als Volksempfänger tituliert, den Empfang der Propagandabotschaften Adolf Hitlers und Joseph Göbbels.

Zuhorchen: Bereits in der österreichischen Zwischenkriegszeit der 20er und 30er Jahre wurden viele Hoffnungen an das Kulturinstrument Radio geknüpft. Jochen Hörisch zitierend, zeugt auch der deutsche Radio bzw. Rundfunkbegriff von Präzision: man sendet rundherum, im Radius und nicht gezielt, linear von A nach B. Über Grenzen und Räume hinweg können intellektuelle, inspirierende und informierende Signale verbreitet werden. Vom Arbeiterradio über Kultur- und Bildungsradio der frühen Radiojahre bis zur Rolle des Radios als Unterhaltungsmedium und auch informierendes Leitmedium in den 50er Jahren. Mit der Verbreitung des Fernsehens wird der allein auditive Hörfunk zurückgedrängt und zum Begleitmedium. Spätestens seit der Entstehung von kommerziellem Rundfunk nebenher eingeschaltet, transformierte das Massenmedium zunehmend zum Instrument der Zerstreuung.

Aufhorchen: Mit den – auch heute noch zitierten Radioessays von Bert Brecht aus den Jahren 1927 und 1929 an die später Hans Magnus Enzensberger in seinem Baukasten einer Theorie der Medien anknüpft – wird eine weitere Möglichkeit des Distributionsapparates Radio ersichtlich: Der/die Sender*in gerät zum/zur Empfänger*in und vice versa. Das Medium erfährt emanzipatorischen Gebrauch, eröffnet Möglichkeiten für gesellschaftlichen Widerstand (in autoritären Regimen) und Kritik (in demokratischen Systemen). Die bisherige Rundfunkgeschichtsschreibung lieferte vereinzelte Fallbeispiele von Widerstandssendern, illegalen Radios, Piratenradios der 70er und 80er Jahre als Kanal für alternative politische wie jugendliche Subkulturen wie auch Sendern für Migrant*innen.

Hinhorchen: Die Geschichte des Radios ist gekennzeichnet von zeitlich überlappenden, jedoch diametrale Anwendungen intendierenden Entwicklungen. Radio diente für Propaganda und Gegenpropaganda bzw. Widerstand, verfolgte bildungspolitische Emanzipation wie als Staatsfunk staatliche, machtpolitische Legitimation, bot Raum für flache Unterhaltung und musikalisches Hintergrundrauschen ebenso wie für komplexe Information, Kultur-Avantgarde und schräge Subkultur. Es adressiert an Viele, prototypisch definierte Wenige und gibt Minderheiten ein Wir-Gefühl und Identität. An das Medium Radio wurden seit seiner Entstehung vor 100 Jahren viele Erwartungen geknüpft. Die Geschichte dieses Mediums legt jedenfalls Zeugnis ab von unerwarteten und nicht prognostizierbaren Entwicklungen wie der in den letzten Jahren erlebten Konjunktur von Podcasts als neues Wort- und Informationsangebot. 

Das größte Defizit des Radios ist gleichzeitig dessen größtes Potenzial, denn Radio meint Audio und damit Ton, Stimme, Geräusch – nicht aber Bild. Das birgt zweierlei in sich: Das Auge kann sich nicht vergewissern, das Auge überformt aber auch nicht das Hörbild. Das Visuelle bleibt Vision und lässt damit Leerstellen und kreative Freiräume offen.

Ziel dieser medien & zeit Ausgabe ist die historische Bedeutung von Hörfunk innerhalb Europas aufzuzeigen und konzeptuelle Weiterführungen zu reflektieren. Wir laden daher zu originären Beiträgen zu dieser Thematik ein, einschließlich theoretischer wie methodologischer Überlegungen und Fallstudien. Von Interesse beispielsweise folgende Themenbereiche:

  • Radio als politisches Instrument: Der Durchbruch des Hörfunks in Europa ist eng mit seiner nationalsozialistischen Vergangenheit verwoben. Radio diente und dient zur massenmedialen Verbreitung von Propaganda innerhalb der autoritären Systeme der europäischen Geschichte. Welche kommunikativen Strategien sind feststellbar? Inwiefern können internationale Parallelen festgestellt werden? Radio als Instrument des Widerstandes und welche Fallbeispiele dazu konnten rekonstruiert werden?  Welche Entwicklungslinien  lassen sich verfolgen? Welche Brüche und Kontinuitäten?
  • Partizipation von BürgerInnen:  Welche Plattform für Communities existieren und welche Intentionen, Botschaften verfolgen diese? Innerhalb welcher strukturellen Rahmenbedingungen werden diese betrieben? Gefragt sind auch Fallstudien zu Piratenradio und politischem Aktivismus via Rundfunk und digitalem Streaming? Welches Mobilisierungspotenzial und welche Entwicklungsverläufe können nachgezeichnet werden? Inwiefern gibt es Dokumentationen von Piratensendern und welche Inhalte wurden gesendet, von welchen Akteur*innen wurden sie betrieben? (Mitmachradio: Kontroversen und Publikumsbeteiligung)
  • Radio und Kultur: Welche Rolle spielte das Radio als Musikvermittler populärer, traditioneller oder auch subkultureller Musikrichtungen? Wer waren die Sender*innen und welches Wissen über das Publikum war vorhanden?
  • Radio als Wissensagent: Welche Bestrebungen zur Vermittlung von Wissen, Bildung, politischer Information via Radio existierten in der Historie? Wer war Betreiber*innen und Anbieter*innen solcher Angebote und wie stellt sich diese Geschichte in der Langzeitperspektive dar?
  • Radio als Voice: Wer wurde und wird gehört? Welche Stimmen fanden Eingang in die Radiokultur? Welche Gruppen wurden als Sender*innen oder Gesendete ausgeschlossen? Welche Rolle spielten Frauen* als Sprecher*innen?
  • Technologien und Ermöglichung des Radios: Mit der technischen Entwicklung wurde Radio leistbar und für einzelne auch nutzbar. Welche Wegmarken innerhalb der Technologiegeschichte sind feststellbar und welche Auswirkungen hatten diese auf nationale Radioanbieter*innen?
  • Ökonomie des Radios: Innerhalb des europäischen Radios wissen wir von 3 Säulen (öffentlich-rechtlich, kommerziell und non-kommerzielle Radios) zur Finanzierung des Hörfunks. Inwiefern sind zusätzliche alternative Modelle zur Finanzierung von Radio in Europa feststellbar? Welche Rolle spielt der Staat als Regulierungsinstanz in einer zunehmend aufgesplitteten Radio- und Audiowelt? Welche Möglichkeiten eröffnen sich durch die digitale Verbreitung von Inhalten?

Einreichungen sind in englischer oder deutscher Sprache willkommen. Eingereichte Abstracts (nicht mehr als 500 Wörter und einem aussagekräftigen Titel), die einen voraussichtlichen Beitrag skizzieren, werden von den Redakteur*innen der Ausgabe begutachtet. Auf dieser Grundlage werden die Autor*innen eingeladen, vollständige Beiträge (6.000 Wörter einschließlich Titel, Zusammenfassung, Tabellen, Abbildungen und Literaturverzeichnis) zu verfassen. Alle vollständigen Beiträge werden einem double-blind peer-review unterzogen. In einer eventuellen Überarbeitungsphase nach der Begutachtung können Autor*innen die Länge des Artikels unter Berücksichtigung der Vorschläge der Gutachter*innen und Redakteur*innen auf maximal 8.000 Wörter erweitern. medien & zeit ist vollständig frei zugänglich (open access) und erhebt von seinen Autor*innen keine Gebühren für die Bearbeitung der Artikel.

The human hearing organ is passive, set to receive day and night, since the beginning of time immemorial and thus instinctively we listen for any threatening sounds. The potential of transmitting voices, messages and information, sounds and music, noises and atmospheres has been used for about a century and thus since the beginnings of radio. It can be used to reach many people – relatively without prerequisites, without the need for literacy and without a material carrier medium – and across large spaces. This is already implied by the etymological derivation of the English-language term for broadcasting – to broadcast – and thus scattering, also used for sowing seeds.

Initially, this transmission option was used for military purposes. The physicist Heinrich Hertz proved the existence of electromagnetic waves, but did not realise their potential. The military, on the other hand, was able to command far-flung military units in the First World War via radio. By the end of the war, at the latest, army equipment had become a communication instrument and radio had become broadcasting. Nevertheless, the spread of the radio in Austria and Germany took place with the intention of making the listeners obey. The National Socialists ensured the reception of Adolf Hitler’s and Joseph Göbbels’ propaganda messages with the affordable VE 301 device, commonly dubbed the Volksempfänger.

As early as the Austrian interwar period of the 1920s and 1930s, many hopes were pinned on radio as a cultural instrument. Quoting Jochen Hörisch, the German radio or broadcasting concept also testifies to precision: one broadcasts all around, in a radius and not specifically, linearly from A to B. Intellectual, inspiring and informative signals can be broadcast across borders and spaces: From workers’ radio to cultural and educational radio in the early radio years to the role of radio as an entertainment medium and also as an informative leading medium in the 1950s. With the spread of television, audio-only radio was pushed back and became an accompanying medium. At the latest since the emergence of commercial radio switched on alongside, the mass medium increasingly transformed into an instrument of diversion.

Bert Brecht’s radio essays from 1927 and 1929 – which are still quoted today and which Hans Magnus Enzensberger would later take up in his construction kit for a theory of the media – reveal another possibility of the distribution apparatus of radio: the sender becomes the receiver and vice versa. The medium experiences emancipatory use, opens up possibilities for social resistance (in authoritarian regimes) and critique (in democratic systems). Previous radio historiography has provided isolated examples of resistance stations, illegal radios, pirate radios of the 70s and 80s as a channel for alternative political and youth subcultures as well as stations for migrants.

The history of radio is characterised by developments that overlap in time but intend diametrically opposed applications. Radio served for propaganda and resistance, pursued educational emancipation and, as state radio, legitimised state power politics, offered space for shallow entertainment and musical background noise as well as for complex information, cultural avant-garde and weird subculture. It addresses the many, the prototypically defined few and gives minorities a sense of we and identity. Since its emergence 100 years ago, many expectations have been attached to the medium of radio. In any case, the history of this medium bears witness to unexpected and unpredictable developments such as the boom experienced in recent years by podcasts as a new source of words and information. 

Radio’s greatest deficit is at the same time its greatest potential, because radio means audio and thus sound, voice, noise – but not image. This entails two things: the eye cannot assure itself, but the eye also does not reshape the auditory image. The visual remains a vision and thus leaves open gaps and creative freedom.

The aim of this issue of medien & zeit 3/2023 is to show the historical significance of radio and to reflect on conceptual continuations. While the genesis of radio – once named the first electronic mass medium – in Austria and Germany is traced above, the issue of medien & zeit intends to also shed light on facets of this history in other European countries. We therefore invite original contributions on this topic, including theoretical as well as methodological considerations and case studies. Of interest, for example, are the following topics:

  • Radio as a political instrument: The breakthrough of radio in Europe is closely interwoven with its National Socialist past. Radio served and still serves for the mass-media dissemination of propaganda within the authoritarian systems of European history. What communicative strategies can be identified? To what extent can international parallels be identified? What examples of radio as an instrument of resistance can be reconstructed?  What lines of development can be traced? What breaks and continuities?
  • Participation of citizens:  What platforms for communities exist and what intentions and messages do they pursue? Within what structural framework are they operated? Case studies on pirate radio and political activism via radio and digital streaming are also in demand? What mobilisation potential and what developmental trajectories can be traced? To what extent are there documentations of pirate radio stations and what content was broadcast, by which actors were they operated? (Participatory radio: controversies and audience participation)
  • Radio and culture: What was the role of radio as a mediator of popular, traditional or subcultural music? Who were the broadcasters and what knowledge was available about the audience?
  • Radio as a knowledge agent: What efforts existed in history to convey knowledge, education and political information via radio? Who were the operators and providers of such services and how does this history present itself in the long-term perspective?
  • Radio as Voice: Who was and is heard? Which voices found their way into radio culture? Which groups were excluded as broadcasters or broadcasted? What role did women* play as speakers?
  • Technologies and enabling of radio: With the development of technology, radio became affordable and also usable for individuals. Which milestones in the history of technology can be identified and what impact did they have on national radio providers?
  • Economics of radio: Within European radio, we know of 3 pillars (public, commercial and non-commercial radio) for financing radio. To what extent are there additional alternative models for financing radio in Europe? What is the role of the state as a regulator in an increasingly fragmented radio and audio world? What opportunities are opened up by the digital distribution of content?

Submissions are welcome in English or German. Submitted abstracts (no more than 500 words and a meaningful title) outlining a prospective contribution will be reviewed by the issue editors. On this basis, authors will be invited to submit full papers (6,000 words including title, abstract, tables, figures and bibliography). All full papers will undergo a double-blind peer-review. In a possible revision phase after the review, authors can extend the length of the article to a maximum of 8,000 words, taking into account the suggestions of the reviewers and editors. medien & zeit is fully open access and does not charge its authors any fees for editing the articles.

Submission of abstracts: 31 May 2022

Submission of full papers: 31 November 2022

Publication of the issue: Issue 3 of 2023 at the earliest

Please send submissions by email: cfp@medienundzeit.at