Einleitung
Kein Zweifel: das Ansehen der früher bisweilen belächelten Medien- und Kommunikationsgeschichte ist in den letzten Jahren gestiegen. Ein allgemein beobachtbarer Trend hin zur historischen Erkundung unserer Wurzeln hat den wichtigen öffentlichen Rückenwind erzeugt. Dazu kommt, daß sich das Gesamtfach in einer für die Entwicklung wissenschaftlicher Disziplinen wichtigen Phase der Konsolidierung befindet. Dazu gehört eben die für die Selbstdefinition und Abgrenzung so wichtige wissenschaftliche Ahnensuche, die Geschichte der universitären Institutionalisierung des Faches, die Aufarbeitung und Wiederentdeckung der klassischen Studien.
Neben diesem wissenschaftsgeschichtlichen Nutzen für die Publizistik- und Kommunikationswissenschaft hat die Medien- und Kommunikationsgeschichte in den letzten Jahren jene interdisziplinäre Öffnung bewältigt, die häufiger die Forderungskataloge als die tatsächlichen Leistungsberichte der Sozialwissenschaften füllt. Vor allem auf inhaltlichem und methodischem Gebiet wurden durch die Anwendung der „Oral History“, des narrativen Interviews und der biographischen Kommunikationsforschung entscheidende Fortschritte erzielt, die Bewegung in eine insgesamt eher stagnierende Forschungslandschaft brachten und nach wie vor nicht fundiert in die empirisch-theoretische Kommunikationsforschung integriert sind.
Äußere Zeichen des behaupteten Aufschwungs sind das große Interesse, das kommunikationshistorischen Themenstellungen entgegengebracht wird und etwa an der großen Zahl der Referenten und Teilnehmer der letztjährigen Tagung der Deutschen und der Österreichischen Gesellschaften für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft gemessen werden kann. Mit dem Symposium fällt auch die Gründung der vorliegenden Zeitschrift zusammen: der ersten und einzigen deutschsprachigen kommunikationsgeschichtlichen Fachzeitschrift. Im kommenden Frühjahr wird – wiederum in Wien und mit internationaler Beteiligung – eine dogmengeschichtlich bedeutsame Zusammenkunft erfolgen, bei der Paul F. Lazarsfelds, des Gründers der empirischen Sozial- und Kommunikationsforschung, gedacht werden soll.
Die vorliegende Rundfrage versteht sich einerseits als eine Art „intellektuelle Bilanz“ zum Wiener Symposium, das nunmehr über ein Jahr und damit weit genug zurückliegt, um Zwischenbilanz ziehen zu können. Sie will andererseits die Einschätzung der Zukunft der Kommunikationsgeschichte für die persönliche wissenschaftliche Arbeit der Befragten, für die jeweiligen universitären Institute und für das Gesamtfach von seinen bedeutenden Vertretern erfragen. Wissend um die allgemeine Arbeitsüberlastung der Befragten und angesichts der Absicht, ein möglichst breites Meinungsspektrum zu erhalten, wurde für die Beantwortung nicht der Weg des wissenschaftlichen Einzelaufsatzes gewählt. Ich möchte vielmehr – der Problemstellung adäquat – die „verschüttete“ historische Form der „Rundfrage“ – in dieser Zeitschrift in der Folge in unregelmäßigen Abständen – wieder aufleben lassen, die in den 20er Jahren sowohl in Deutschland als auch in Österreich große Beliebtheit und Verbreitung besaß (vgl. etwa die bedeutenden Rundfragen in der „Literarischen Welt“ zum Thema „Reportage“). …