Popjournalismus, Musikzeitschriften und deren AkteurInnen beschäftigen, beeinflussen und beglücken mich (mehr oder weniger) seit ungefähr meinem zwölften Lebensjahr, also seit etwa 1976. Zunächst waren das Magazine wie Pop, eine heute längst vergessene Alternative zur Bravo, ohne Aufklärungsseiten, dafür mit wesentlich höherem Musikanteil, denn das Heft kam mit Melody Maker, was mir damals allerdings noch nichts sagte. Von der Existenz englischer Weeklies wie NME oder eben Melody Maker wusste ich noch nichts, obwohl es die am Hafenbahnhof von Friedrichshafen durchaus zu kaufen gab, was ich aber erst ein paar Jahre später herausfand. Ab 1978 wechselte ich von Pop zu Sounds aus Hamburg. Mit der anfangs oft ziemlich anspruchsvollen Sounds-Lektüre begannen sich für mich erste Autorencharaktere im Popjournalismus herauszuschälen – bei den Teenager-Magazinen hatte es das in dieser Form nicht gegeben. Ich weiß nicht mal mehr, ob die Artikel dort überhaupt AutorInnencredits hatten. In der Sounds aber wurde zunehmend, erst recht mit Beginn der Ära Diederichsen, vor allem der Autor und weniger das Thema der eigentliche Grund für Erwerb und Studium des Magazins. Bald stellte ich auch fest, dass es dort durchaus unterschiedliche oder kontroverse Meinungen und Fraktionen innerhalb eines Blattes geben konnte, coole und weniger coole SchreiberInnen (bei Sounds brachten sich zuerst Hippies gegen Punker, später Punker gegen Popper in Position, grob vereinfacht dargestellt). Als Sounds 1983 eingestellt wurde, übernahm die seit drei Jahren existierende Spex aus Köln die Meinungshoheit. Dort wurde das Prinzip der Autorin/des Autors als AktivistIn und Popstar im eigenen Recht zur unumstrittenen Maxime.
Solange ich die Spex nur las und dort noch nicht mitarbeitete, mit dem gymnasialen Bodenseeblick nach Köln also, erschien mir die Redaktion und die AutorInnen wie die beste Superbande, allgemeines Einvernehmen aller Beteiligten erschien mir als deren natürlicher Aggregatzustand und politische Prämisse. Die humorvoll gepflegten Oppositionen, die die späte Sounds geprägt hatten, schienen hier nicht zu existieren, man zog vermeintlich an einem Strang. Selbst als ich schon (nun von Hamburg aus) für die Spex schrieb, wirkte das so auf mich. Erst mit dem Umzug nach Köln und dem Beitritt in das Redaktionsteam dämmerte mir, dass es dort zum Teil drastische Auffassungsunterschiede gab, Ausrichtung, Zielsetzung, Philosophie, Style, Dividende u.v.m. betreffend.
Monat für Monat das Magazin zu erschaffen war daher oft ein mühevoller Prozess. Die wertvollen, begrenzten Seiten wurden in langen, meistens an Theken geführten Debatten von den verschiedenen Fraktionen hart umkämpft, Nick Cave gegen die Ragga Twins sozusagen, oder Blumfeld gegen Right Said Fred; auch die Gewichtung von Kunst, Theorie und Politik im Verhältnis zu irgendwelchem albernem Blödsinn war Gegenstand ständiger, erbitterter Diskussionen. Man musste schon sehr gute Argumente haben, um sich durchzusetzen – ein Umstand, der der Text-qualität äußerst zuträglich war. Einig war man sich oft höchstens im Argwohn gegen die Art Direktion, deren Forderungen nach ganzseitigen, gar doppelseitigen oder wenigstens ganz kleinen Fotos häufig auf Unverständnis und Ablehnung bei den RedakteurInnen stieß – wozu Bilder, wenn man stattdessen noch mehr Text drucken kann?
Nach ungefähr drei Jahren in der Redaktion beschloss ich, aus diesen anstrengenden Prozessen auszusteigen und Teil meiner eigenen kleinen Superbande zu werden, bzw. einer Band, Whirlpool Productions, bei der nun wirklich alle an einem Strang ziehen würden. De facto bewahrte auch dies mich allerdings nicht vor mannigfaltigen, inhaltlichen Auseinandersetzungen, nur eben in einem kleineren Radius. Im Endeffekt war das natürlich alles sehr gut so. Für ein aufregendes Heft (oder eine Band) ist es besser, vielleicht sogar essentiell, wenn keine übertriebene Harmonie herrscht, wenn über die Inhalte, deren Relevanz und den Platz dafür argumentativ gerungen werden muss. Man merkt den Spex-Ausgaben dieser Zeit deutlich die inhärente Spannung an, man merkt, dass die jeweilige Zusammenstellung eines Hefts in pop-politischen Kämpfen ausgehandelt und erstritten wurde. Dies führte zu immer wieder extrem interessanten Themenmischungen und einem ebenfalls extrem ausgeprägten Autor-Innen-Stil, oft kritisiert und hingebungsvoll gepflegt, mit hohem Selbstbewusstsein und einem unangreifbaren Standing.
Allerdings war die Spex bis etwa Mitte der 90er-Jahre auch noch praktisch konkurrenzlos. So mancher Autor, etwa Leute wie Sascha Kösch oder Jürgen Laarmann, die durch ihre Artikel für Spex einen gewissen Nimbus, aber keine Hausmacht erreicht hatten, gründeten ihre eigenen Publikationen (Frontpage resp. De:Bug), um dort bestimmte Aspekte der Spex zum wesentlichen Heftinhalt auszubauen. Neugründungen wie Intro deckten eine ähnliche Themenbreite ab, verzichteten aber auf den hohen Ton sowie auf den Tausch gegen Bargeld. Das Feuilleton, heute einer der wichtigsten Austragungsorte für gehobenen Popjournalismus, orientierte sich im progressiven Bereich ausschließlich an der Spex oder ignorierte ihn vollständig.
Mit dem Internet, all den Blogs und Webzines usw. hat sich das Prinzip einer parlamentarisch arbeitenden und streitenden Redaktion im Großen und Ganzen erledigt. Dank der neuen Medien muss sich eigentlich niemand mehr, egal ob Autor-
In oder LeserIn, mit irgendwelchen Meinungen und Positionen auseinandersetzen, die ihm oder ihr gegen den Strich gehen könnten. Alles scheint wohlaufgeräumt auf die jeweiligen Interessenslagen zugeschnitten und vor allem: Es gibt natürlich überhaupt keinen Platzmangel mehr, kein Raum, um den noch leidenschaftlich und mit guten Gründen gestritten werden müsste.