Heribert Schwarzbauer: Mein Schicksalsjahr 1948 Antworten zur Rundfrage "Österreichischer Journalismus um das Jahr 1948"

Einleitung: Im Herbst 1946 aus russischer Kriegsgefangenschaft heimgekehrt, hatte ich kurz vor Weihnachten 1947 mein Universitätsstudium mit der Promotion zum Dr. phil. abgeschlossen und konnte meinem 26. Geburtstag im Jänner 1948 mit gelassener Zuversicht entgegense- hen: es war nämlich schon ausgemacht, daß ich mit 2. Februar als Lehrling in das traditionsreiche Grazer Druck- und Verlagshaus „Styria“ eintreten werde. Als Akademiker hatte ich eine bloß einjährige Lehrzeit zu absolvieren, die zwar auch für den Buch-, Kunst- und Musikalienhandel gültig sein sollte, in der Praxis aber auf Verlags- und Redaktionsarbeit beschränkt blieb. Abgesehen davon, daß ich im Verlagssekretariat meine künftige Frau kennen lernte, die sich in der Folge als Lyrikerin und Erzählerin von anerkannten Graden profilierte und den mit mir cingegangenen ehelichen „Musenpakt“ nun schon seit über 45 Jahren getreulich mitträgt, glich diese Lehrzeit einem spannenden geistigen Abenteuer mit unentwegten Entdeckungen von interessantem Neuland. Vor allem wußte ich die ersten persönlichen Begegnungen mit vielen jener Autoren zu schätzen, von denen die damalige steirische Lileratur- szene geprägt wurde; ich war auch wochenlang damit beschäftigt, das in den Wirren der Kriegs- und Nachkriegszeit arg vernachlässigte Verlagsarchiv neu zu ordnen und so gründlich zu inventarisieren, daß mein damals erstelltes Katalogwcrk auch heute noch gute Dienste leistet, wenn cs sich um Informationen über die 1869 begonnene Buchproduktion des Hauses Styria und der zeitweise integrierten Verlage Ulrich Moser und Anton Pustet handelt.

Zukunftsträchtiger als eine so nostalgische (und natürlich vollkommen „hündisch“ geleistete) Verlagsarbeit wurde für mich freilich die Mitwirkung an einem Zeitschriftenprojekt, das 1946 mit großem kulturellem Anspruch gestartet worden war, sich aber gerade wegen seiner interdisziplinären Spannweite nicht zufriedenstellend verkaufen ließ. Diese Monatsschrift für Kultur und Geistesleben hatte den programmatischen Namen AUSTRIA und war für damalige Verhältnisse geradezu opulent ausgestattet, kostete aber pro Heft immerhin fünf Schilling, was für viele Menschen ein stark ins Gewicht fallender Betrag war, da als monatliches Exi- stenzminimum ein Betrag von 150 Schilling galt. Redigiert wurde die AUSTRIA von Rudolf List, einem 1901 in der Obersteiermark geborenen Altjournalisten aus der konservativen Reichspost-Schule jenes gewichtigen Friedrich Funder, der nunmehr als Herausgeber der Furche wiederum am Werk war, dem österreichischen Pressewesen neue Wege zu alten Werten zu weisen. Als Lyriker, Erzähler und vielseitiger Heimatforscher war Rudolf List ebenso eine „Institution“ wie als Kunst-, Musik- und Theaterkritiker; bis zu seinem Tod im Herbst 1979 hat er noch eine Vielzahl von Büchern, Jubiläumsschriften und Publikationen mancherlei Ar( herausgebracht, darunter den gewaltigen Torso seines Lexikons „Kunst und Künstler in der Steiermark“, das seil 1964 in Lieferungen erschienen und bis zum Buchstaben „Sch“ gediehen war. Da er mich als eine Art Lieblingsschüler betrachtete – ich hatte durch ihn in der AUSTRIA nicht nur meine ersten Veröffentlichungen, sondern schließlich auch die Ehre gehabt, die Zeitschrift mit Ende 1948 ohne viel Aufsehen zu Grabe zu tragen – und da ich List wirklich viel zu verdanken hatte, ließ ich mich zur Fertigstellung „seines“ Künstlerlexikons überreden. Diese Arbeit währte bis Mitte 1982, wobei mir immer wieder deutlich wurde, was für ein kühnes Unterfangen es gewesen war, ein möglichst allseitiges Kulturlexikon ganz im Alleingang und ohne Computerhilfe überhaupt in Angriff zu nehmen. Obwohl List gewußt hatte, daß mir in punkto Kunst und Literatur ein ansehnliches Privatarchiv zur Verfügung stand, war er nicht zu bewegen gewesen, sich bei den Recherchen für sein Lexikon auch nur im geringsten helfen zu lassen. …