Winfried Schulz: Der t-Faktor in der empirischen Kommunikationsforschung Ein Beitrag zur Rundfrage "Neue Positionen zur Kommunikationsgeschichte"

Einleitung: Sie sei ahistorisch, wird der emprisch-quantitativen Forschung oftmals von Kritikern vorgeworfen. Gemeint ist damit in erster Linie, daß Sachverhalte in bezug auf ihren Zustand zu einem bestimmten Zeitpunkt t empirisch-statistisch untersucht werden, ohne zu berücksichtigen, daß dieser Zustand nur ein Zwischenstadium zwischen den Zeitpunkten t-1 und t+1 beziehungsweise aller zurückliegenden Zeitpunkte t-n und aller zukünftigen Zeitpunkte t+n ist; ohne zu berücksichtigen, daß sich das Charakteristische des Zustandes t nur einigermaßen vollständig erfassen und erklären läßt, wenn man seine Entwicklung über t-n kennt, wenn man also historische Zusammenhänge hersteilen, Ursachen und Hintergründe aufklären, Entwicklungen und Kontexte erkennen kann.

Tatsächlich können die meisten Methoden der empirisch-quantitativen Forschung dies nicht leisten, zumindest nicht in der ausgreifenden zeitlichen Perspektive und zeitlichen Komplexität, um den Ansprüchen historischer Forschung zu genügen. Das liegt zum einen an den äußerst strengen Anforderungen an die Datenerhebung bei der empirischen Methodik, die meist nur zu erfüllen sind, wenn der Forscher einen eigenen Zugang in „Realzeit“ zu seinen Untersuchungsobjekten hat, womöglich Reaktionen von ihnen verlangen muß. Alle reaktiven Verfahren – Interviews, Tests und experimentelle Untersuchungen – sind nur in der Gegenwart durchführbar und – streng genommen – nur für den Augenblick gültig. Zum anderen sind die meisten statistischen Verfahren, die für eine adäquate Auswertung der empirischen Daten in Frage kommen, ohne Zeitbezug. Sie gehen in der Regel von ungeordneten und zeitlich nicht definierten Mengen aus. …