Holger Rust: Dig where you stand Erste Hinweise auf eine Archäologie der Theoriegeschichte. Ein Beitrag zur Rundfrage "Neue Positionen zur Kommunikationsgeschichte"

Einleitung: Mittlerweile besteht kein Legitimationsbedarf mehr. Daß Kommunikationsgeschichte einen unerläßlichen Bestandteil der professionellen Sozialisation der einschlägigen Wissenschaftler darstellt, ist unbestritten. Gründe sind vielfältig ausgearbeitet und kontroverslos akzeptiert worden. Die Tagung der Deutschen und der Österreichischen Gesellschaften für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft 1987 in Wien hat eine flächendeckende Bestandsaufnahme geleistet. Ob in der Zwischenzeit „neue Positionen“ sichtbar geworden sind, ist hingegen offen. Die Haltung zur Kommunikationsgeschichte (und damit zur Geschichte der Kommunikationswissenschaft) ist von einem wohlwollend indifferenten Voluntarismus geprägt. Archivarische Freude und fallstudicnartige Zeitreisen, die Porträtie- rung der Ahnen des modernen Journalismus, wenig methodologische Grundsatzdebatte, wie sie beispielsweise in der historischen Forschung diskutiert wird, und doch wieder auch hier und da enthusiastische Oral-History-Archäologie: Es bleibt die Frage nach einer eigenständigen Teildisziplin.

Um Mißverständnisse von vornherein zu vermeiden – diese Frage ist kein Plädoyer für die Segmentierung der Kommunikationswissenschaft. Im Gegenteil: Die Konzentration auf einen Teilaspekt erwirkt, wenn man auch die Wissenschaft plausibel als ein System in einem engmaschig vernetzten Kontext betrachtet, eine neue Wahrnehmung aller anderen Bereiche, namentlich der methodologischen und analytischen Sphären. Denn Wissenschaft lebt von der steten gegen warts-, zukunfts- und vergangenheitsbezogenen Prüfung ihrer Aussagen. Um diese Prüfungen vollziehen zu können, muß die Geschichte dessen, was heute ist, erarbeitet werden, um die Bedingungsfaktoren des Vorfindlichen kennenzulernen. Nur auf diese Weise läßt sich in einem weiteren Schritt auch die Geschichte von morgen prognostisch erfassen. Die Frage nach einer eigenständigen Teildisziplin bedeutet daher die Relativierung aller kommunikationswissenschaftlichen Arbeit im Hinblick auf ihre Abhängigkeit von dem, was war. Das gilt für die Wissenschaft und ihren Vergesellschaftungsprozeß selbst und für die Erfassung ihres Gegenstandes, das heißt also der Wahrnehmung der Umfcldgeschichte. …