Einleitung: Als der „Österreichische Rundfunk“ nach der Befreiung Wiens durch die Rote Armee am 29. April 1945 mit der Übertragung des feierlichen Zusammentritts der provisorischen Regierung Renner sein Programm wiederaufnahm, war damit vor allem auf dem Gebiet der aktuellen Berichterstattung ein wirklicher Neubeginn verbunden.
Seit der Gründung im Jahre 1924 – und insbesondere nach 1933 – hatte sich die RAV AG in allen Bereichen aktueller Berichterstattung (mit Ausnahme des Sports) an den Vorgaben staatlicher Instanzen orientiert. Vor allem in ihrer politischen Nachrichtengebung hatten staatliche Instanzen nicht bloß Aufsichtsfunktionen ausgeübt, die Rundfunknachrichten waren sogar von der „Amtlichen Nachrichtenstelle“ verfaßt und redigiert worden. Mit der Niederwerfung der nationalsozialistischen Herrschaft aber ging das von Siegern und „Besiegten“ geteilte Bemühen um die Wiederherstellung der Freiheit der Meinungsäußerung einher. Die von unterschiedlichen politischen Traditionen geprägten rundfunkpolitischen Leitbilder der vier Alliierten, die häufig von tagespolitischen Interessen bestimmten rundfunkpolitischen Zielsetzungen der drei Parteien und wohl auch die z. T. mangelnde Courage der Programmverantwortlichen führten indes dazu, daß sich grundlegende Elemente im Selbstverständnis journalistischer Identität (wie Unabhängigkeit und Eigenverantwortlichkeit) am Beginn der Zweiten Republik im Rundfunk nur sehr langsam entwickeln konnten.
Eine, wie mir scheint, außerordentlich bezeichnende Zustandsbeschreibung des damaligen, und wohl auch noch für die fünfziger Jahre lange vorherrschenden Selbstverständnisses gab mir ein damals im „Aktuellen Dienst“ des Fernsehens tätiger Redakteur im Verlaufe eines Interviews. Der langjährige Chefredakteur des „Aktuellen Dienstes“ im Hörfunk, Karl Polly, soll einmal folgende Auswahlkriterien in der Nachrichtengebung des Hörfunks genannt haben: „Das wichtigste für uns ist, wenn der Kardinal etwas sagt, an zweiter Stelle steht dann der Bundespräsident, und wenn man den Bundeskanzler fragt, muß man natürlich auch den Vizekanzler fragen.“
So interessant es wäre, in diesem Zusammenhang der Frage nach dem Ausmaß selbstverschuldeter Unmündigkeit nachzugehen, muß sie hier dennoch unterbleiben. Der vorliegende Beitrag will lediglich einige als bedeutsam erachtete Probleme aktueller Berichterstattung im Nachkriegshörfunk aufgreifen und damit den dazu insbesondere von Viktor Ergert und Oliver Rathkolb schon geleisteten Vorarbeiten einen weiteren Versuch zur Analyse dieses ebenso wichtigen wie politisch umstrittenen Programmbereichs anfügen. Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich dabei auf zwei Untersuchungsebenen: a) den Versuch einer Beschreibung der organisatorischen Verselbständigung aktueller Berichterstattung und der Beschreibung einiger Sendeformen, b) den Versuch der Analyse jener Kräfte, Alliierte, Parteien und Einzelpersonen sowie die zwischen ihnen ausgetragenen Konflikte, wie sie die Entwicklung in diesem Bereich wesentlich mitbestimmt haben…