Einleitung: Schrift ist ein künstliches menschliches Zeichensystem. Sprache existiert ursprünglich nur als gesprochene Sprache, d. h. im akustischen Modus in Form von Schallwellen. Aus einer Vielzahl von theoretisch möglichen Geräuschen und Lauten, die durch bewußte Modulation von Luft entstehen, werden durch gesellschaftliche Konvention bestimmte Sektoren des Lautkontinuums als innerhalb ihres Systems bedeutungsdifferenzierende Zeichen festgelegt (z. B. das Phonem „a“ im Gegensatz zum Phonem „o“). Jedes derartige Zeichen besitzt einen exakten (akustischen) Informationswert. Dadurch entsteht die Grundlage für primär akustische Sprach- zeichen, die über den Code als aus dem Lautkontinuum abgegrenzte, diskontinuierliche, diskrete Einheiten determiniert werden (Ein Phonem stellt allerdings eine Abstraktion, einen Idealtypus eines Lauts dar, der in seiner Realisierung als Rede (Lautung) ein analoges akustisches Signal ist). Der phonologische Code bestimmt sowohl die Einheiten als solche (in verschiedenen Sprachen tauchen unterschiedliche Phoneme auf) als auch die Kombinationsmöglichkeit der einzelnen Phoneme. Dabei ist allerdings das Vorkommen jeder einzelnen Einheit und deren Kombinationen nicht gleich wahrscheinlich (so kommt etwa das Phonem „e“ im Deutschen viel häufiger vor als „x“, die Aneinanderreihung von „s-r-x-q-y“ ist nicht möglich.). Die untereinander bedeutungsdifferenzierenden Phoneme bilden eine vereinbarte endliche Menge von Elementen, den Zeichenvorrat einer Sprache. Mittels codegerechter Aneinanderreihung von bewußt generierten akustischen Sprachzeichen ist die Möglichkeit eröffnet, Materielles oder Immaterielles der Innen- und Außenwelt von Menschen zu „be-zeichnen“ bzw. zu übermitteln.
Schrift speichert Daten in oder auf materiellen Datenträgern, ist also ein visuelles Speichermedium. Die Aufzeichnung erfolgt sukzessive mit gesellschaftlich konventionalisierten Zeichen (optisch-ikonischen bzw. optisch-symbolischen, geometrischen Zeichen) und fixiert den in den Zeichen beinhalteten Informationswert. Die vorher als subjektive Bewußtseinsströme oder als Schallwellen vorhandenen nichtdauerhaften Daten werden mittels optischer Zeichen festgehalten und zugleich archiviert. Die dadurch erzielte Materialität der Zeichen ermöglicht eine Konstanz des Datensatzes und somit den Datentransport über Raum und Zeit.
Betrachtet man die Entwicklung der Gestaltung von skripturalen Sprachzeichen (deren Morphologie), läßt sich ein Differenzierungsprozeß vom Ikon mit Ahnlichkeitsbeziehung hin zum willkürlichen Symbol und weiter zu den kleinsten diskreten Einheiten (den Buchstaben) feststellen.
Die Anfänge des Überführens von vergänglicher akustischer Information in beständigere optische Zeichen liegen bei den Fixierungen von Zeichen und Bildern in Form von Wand- und Höhlenmalereien, Abdrücken in Tongegenständen u. dgl. (ab ca. 15.000 v. Chr.). Der entscheidende Schritt zum eigentlichen skripturalen Sprachzeichen ist dann vollzogen, wenn Informationen mit Hilfe von gesellschaftlich konventionalisierten optisch- skripturalen Zeichen festgehalten werden, die nicht mehr rein abbildenden Charakter besitzen, sondern auf die Sprache selbst bezogen sind, die also nicht nur die Bedeutung, sondern auch die Lautung (Worte, Silben und/oder Einzellaute) direkt bezeichnen. Dieser Schritt wurde ca. 3500 v. Chr. in den sumerischen Piktogrammen (Bildzeichen), der ältesten Form des mesopota- mischen Schriftsystems, gesetzt. …