Mike Sandbothe: Zeit und Medien Postmoderne Medientheorien im Spannungsfeld von Heideggers "Sein und Zeit"

Einleitung:

Postmodeme Medientheorien im Spannungsfeld von Heideggers Sein und Zeit

Meine Überlegungen gliedern sich in drei Schritte. Der erste Schritt benennt die Grundthese, die die unterschiedlichen medientheorischen Ansätze im Umfeld der Postmodeme sachlich verbindet. Den Begriff „postmodern“ – dies sei zur Vermeidung von Mißverständnissen vorweg herausgestellt – verwende ich indizierend und nicht im Sinne der ihm begriffssemantisch eigenen paradoxen, nämlich in Wahrheit genuin modernen, Epochenbedeutung (Welsch, 1987; Sandbothe, 1993). Der Grundthese der postmodemen Medientheorien zufolge sind die audiovisuellen und kinematischen Technologien im Unterschied zu den automobilen und kinetischen Technologien, die auf eine Eroberung und Nivellierung des Raumes abzielen, wesentlich als Chrono-Technologien zu begreifen. Als Technologien also, deren weltumspannende Ausbreitung sich in einer Medialisierung der Zeit niederschlägt. Mit dieser aber geht – so die weitere Diagnose – eine einschneidende Destabilisierung derjenigen Zeitlichkeitsstukturen einher, die von Kant über Bergson und Husserl bis zu Heidegger, Sartre und Merleau-Ponty als unhintergehbare Grundbestimmungen des menschlichen Daseins galten. Gehalt, Spezifität und Anspruch dieser These werden im ersten Teil durch eine doppelte Abgrenzung konturiert:

  1. Ihre Spezifität und ihr allgemeiner Gehalt wird markiert in der Abhebung von Theorien des öffentlichen Diskurses, wie sie, inspiriert durch Habermas‘ Strukturwandel der Öffentlichkeit, in der deutschen Diskussion lange bestimmend gewirkt haben.
  2. Der mit diesem Gehalt verbundene Anspruch wird konkretisiert in der Auseinandersetzung mit empirischen Forschungsresultaten aus dem Bereich der Medienwirkungsforschung.

In einem zweiten Schritt werde ich den genealogischen Pfad markieren, der von den postmodernen Ansätzen aus über das Zeitproblem zurückführt auf Heideggers Analyse der Zeitlichkeit des menschlichen Daseins. Im Rekurs auf Heideggers Sein und Zeit (1927) und seine Dekonstruktion der kantischen Zeittheorie in Kant und das Problem der Metaphysik (1929) soll gezeigt werden, wie die postmodernen Medientheorien zeittheoretisch auf den frühen Heidegger zurückgehen und diesen auf dem Boden der Zeittheorie mit den Mitteln seiner Spätphilosophie kritisch modifizieren. Die postmodernen Medientheorien begeben sich damit ins Zentrum des inneren Widerstreits, der das Heideggersche Denken als Ganzes charakterisiert. Darin liegen die Chancen, aber auch die Gefahren ihres Denkansatzes. Denn die Verknüpfung der von Heidegger nie wirklich zu Ende gedachten Frage nach der Zeitlichkeit menschlichen Daseins mit der technik- und subjektkritischen Sicht, die sich bei Heidegger erst aus dem „Seinsdenken“ seiner Spätphilosophie ergeben hat, gelingt auch postmodern nur auf prekäre Weise. Die sich aus dieser Situation ergebenden Aufgaben aktueller Medienphilosophie versuche ich abschließend im dritten Schritt meiner Überlegungen zu markieren. …