Einleitung: Über die Lage der ungarischen Geschichte der Medien und der Kommunikation einen Artikel zu schreiben ist deswegen einigermaßen schwierig, weil sich die Medien- und Kommunikationsgeschichte als eine selbständige Forschungsrichtung in Ungarn noch in der Gestaltungsphase befindet. Natürlich bestehen bereits solche Wissenschaftszweige und „Nebenwissenschaften“, welche die historischen Erscheinungen der Medien und der Kommunikation erforschen. Solche sind unter anderem die Literaturgeschichte (Literaturwissenschaft), Sozial- und Kulturgeschichte (Geschichtswissenschaft), Politikgeschichte (als Geschichts- und Politikwissenschaft) sowie Pressegeschichte und Informationsgeschichte (Pressegeschichte bedeutet hier vor allem die Geschichte der gedruckten Zeitungen und Zeitschriften – aber nicht nur das, denn die Geschichte des Radios und Fernsehens, d.h. des elektronischen Programmsendens und der Sender in Ungarn wird größtenteils unter derselben Bezeichnung erörtert).
Obwohl es logisch erscheinen würde, entsprechen die beiden letzteren nicht dem, was man unter Medien- und Kommunikationsgeschichte versteht – teils wegen ihrer Position in dem ungarischen wissenschaftlichen System, und teils aus methodologischen Gründen. Einerseits sind die Grenzen zwischen den aufgezählten pressehistorischen Forschungsrichtungen in Ungarn verwischt: Man nennt zum Beispiel jene literaturgeschichtlichen Forschungen Pressegeschichte, deren Gegenstände entweder die Beiträge von Schriftstellern und Dichtern zu Nachrichtenblättern oder die Geschichte literarischer Zeitschriften sind — obwohl in diesem Fall Pressegeschichte eigentlich die Hilfswissenschaft der Literaturgeschichte ist, da diese Forscher die Journalistentätigkeit als eine belletristische Tätigkeit auffassen. Dies ist unter anderem damit zu begründen, dass bis zu den 1880er Jahren in Ungarn Presse und Literatur — zum Beispiel weil die Modernisierung der Zensur und der Presse erst 1867 begann – eng zusammen gehörten. Einerseits hatten die literarischen Zeitschriften eine bevorzugte politische Rolle und vertraten gesellschaftliche Reformprogramme (d.h. sie erfüllten die Funktion verschiedener Periodika), andererseits arbeitete eine Schar von ungarischen Schriftstellern und Dichtern bei Redaktionen, und ihre Gedichte und Romane wurden in den Zeitungen veröffentlicht (vom Mitredakteur Sändor Petöfi über den Redakteur Mör Jökai, den Journalisten Endre Ady bis hin zu Sändor Märai).
Ähnlich werden auch solche Forschungen als Pressegeschichte bezeichnet, deren Gegenstand die Politik sowie die Geschichte der politischen Ideen ist. Aber auch in diesen Fällen ist nicht die Presse (Medien) der Gegenstand der Untersuchung, sondern etwas ganz Anderes (die Politik), und die Zeitungen sind nur als Quellengruppe betroffen.
Andererseits wird die Lage dadurch noch komplizierter: Da von der Kulturgeschichte über die Pressegeschichte bis zu den Bibliothekswissenschaften eine Unzahl von (Teil)Disziplinen Kommunikation untersuchen, muss die einheitliche Wissenschaft im Rahmen der Informationsgeschichte organisiert werden. Aber diese Konzeption hat (zumindest in Ungarn) einen schwachen Stand. Die dadurch eingeführten Begriffe tauchen nicht einmal in solchen Arbeiten auf, in denen das wegen der Gegenstandswahl wohlbegründet wäre, oder im Gegenteil: Wir finden Beispiele für eine ziemlich freie Interpretation und Verwendung des Begriffsbestandes vor. All das hängt damit zusammen, dass diese Grenzziehung der Informationsgeschichte vielleicht zu viel verlangt: Sie will die Verfahrensweisen der diskursiven Politikwissenschaft, der Kommunikationswissenschaft, der Geschichtswissenschaft usw. in ein einheitliches Ganzes organisieren – während auch sie selbst mit methodologischen Problemen kämpft.
Es gibt zwei Gründe dafür, dass in Ungarn nicht einmal die Pressegeschichte aus ihrer hilfswissenschaftlichen Position ausbrechen konnte, und dass die Informationsgeschichte (oder die Kommunikationsgeschichte) nicht eine solche Forschungen umfassende (Inter)Disziplin geworden ist. Einer der Gründe ist die Forschungstradition, und der andere ist die Art der Institutionalisierung. …