Dieser Beitrag geht der Frage nach wie ein gegenwärtig wieder im Fokus stehender Diskurs über Armut und soziale Ungleichheit in der Vergangenheit im Journalismus dargestellt wurde. Die Untersuchung konzentriert sich auf das späte 19. Jahrhundert als die soziale Frage erstmals allgegenwärtig im öffentlichen Diskurs war. Es wurde eine qualitative Inhaltsanalyse von Berliner Presseerzeugnissen durchgeführt, um die Darstellungsmuster der Armutsberichterstattung in der wilhelminischen Massenpresse zu beschreiben. Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass sich die Berichterstattung über Armut an gegensätzlichen Polen des gesellschaftlichen Diskurses verorten lässt. Während einerseits sensationalistische Deutungsmuster dominieren, die Armut als moralische Devianz begreifen, existieren auch Ansätze des investigativen Journalismus, der Armut als Symptom ungünstiger sozialer Bedingungen identifiziert und systematische Lösungsansätze präsentiert, um das Problem zu bekämpfen.