Gaby Falböck & Bernd Semrad: „Graue Radiotheorie“ Frühe Beiträge zur Rundfunkforschung am Institut für Zeitungswissenschaft der Universität Wien

Einleitung:

Der Rundfunk kann ähnlich wie die Zeitung wirken, nur noch viel aktueller und vielseitiger. Aber beide, Zeitung und Rundfunk, sprechen die Sprache des Volkes und sind damit befähigt, in den Dienst einer wirksamen Propaganda, sei es zur Vorbereitung von Wahlen, aber auch zur Vorbereitung von Kriegen, gestellt zu werden. (Gläser,  1951, S. 199)

Die Zeitungswissenschaft war keine Friedenswissenschaft (vgl. Fabris, 1991, S. 43-48). Auch nach dem Ende des Nationalsozialismus waren noch in weiten Teilen des Faches normative Zugänge verbreitet, die die Publizistik im Dienst der Propaganda sahen – und auch aus diesem Blickwinkel untersuchten. Dieser Beitrag versteht sich als eine Rückschau auf frühe Beiträge zur Rundfunkforschung, die am Wiener Institut für Zeitungswissenschaft als Dissertationen approbiert wurden. Während etwa in den USA und Großbritannien (siehe dazu etwa Eduard Ludwig, 1953, S. 4-6) bereits in den 30er Jahren rundfunkwissenschaftliche Institute eröffnet wurden, fällt die akademische Verortung dieses Forschungsfeldes hierzulande schwerer. Abgesehen vom Versuch der Nationalsozialisten, Rundfunkwissenschaft erstmals als eigenständiges Fach zu etablieren (vgl. Kutsch, 1985), lag die Zuständigkeit in Österreich nach 1943 in erster Linie bei der Zeitungswissenschaft.

Obwohl seit der Gründung der Radio-Verkehrs AG (RAVAG) 1924 Rundfunk in Österreich etabliert war, blieb die wissenschaftliche Beschäftigung mit diesem Phänomen weitgehend aus. Erst rund 60 Jahre nach dem Eintritt des „neuen Mediums“ in die Öffentlichkeit entstand die erste umfassende Arbeit zu Entwicklung und Geschichte des Rundfunks in Österreich. Theodor Venus leistete in seiner Dissertation von 1982 Pionierarbeit (Venus, 1982), konnte er doch bloß auf spärlich vorhandene kommunikationswissenschaftliche Untersuchungen zum Radio in Österreich zurückgreifen – was zu guten Teilen damit zu tun hat, dass sich das Fach bis in die 60er Jahre als Zeitungswissenschaft verstand und somit auch nur wenige „rundfunkwissenschaftliche“ Dissertationen hervorbrachte (den Versuch der Etablierung einer rundfunkwissenschaftlichen Abteilung am Institut für Zeitungswissenschaft ausgenommen. Siehe dazu II. 1.).

Neben der Zeitungswissenschaft beschäftigten sich an der Universität Wien nur noch Dissertantlnnen der Theaterwissenschaft mit dem Thema Rundfunk. Im Zentrum dieser Betrachtungen stand jedoch vornehmlich die Analyse spezieller Programmgattungen, wie des Fiörspiels, der Oper oder der Rundfunkmusik (Venus, S. 1-3). Die Auswahl des vorliegenden Beitrags beschränkt sich aus fachhistorischen und wissenschaftstheoretischen Gründen auf Dissertationen am Institut für Zeitungswissenschaft der Universität Wien. Die Wahl des Zeitraums fiel auf die Jahre von 1946 bis 1938, also von der Wiedereröffnung des 1939 gegründeten und 1942 eröff- neten Instituts bis zum Abgang des ab 1946 eingesetzten kommissarischen Institutsleiters Eduard Ludwig (Zur Wiener Institutsgeschichte, insbesondere strukturellen und personellen Entwicklungen, siehe vor allem Wolfgang Duchkowitsch, 1989, S. 155-178 sowie ders. 1991, S. 7-45). …