Vorgeschichte: Nach 1945 musste sich die Publizistikwissenschaft zunächst bescheiden. Von ehedem 17 reichsdeutschen Instituten hatten nur drei überlebt. Der folgende Beitrag gilt der Darstellung dieser drei westdeutschen Institute in den ersten Nachkriegsjahren. Das vierte Institut, das der Leipziger Universität, kann hier nicht behandelt werden.
Der Blick auf die unmittelbare Nachkriegszeit gewährt interessante Einblicke in die Entwicklung der Disziplin von der geisteswissenschaftlichen Zeitungswissenschaft zur sozialwissenschaftlich orientierten Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Zudem ist die Betrachtung ein interessantes hermeneutisches Lehrstück. Es lässt sich zeigen, wie wichtig es ist, Argumente mit Interessen zu verbinden und Aussagen mit denen früherer Zeit oder anderer Herkunft zu vergleichen, um zu einem quellenkritisch abgesicherten Urteil zu kommen. Wenn in diesem Aufsatz zum Teil umfangreicher zitiert wird, als dies für die reine Feststellung der Sachaussagen nötig wäre, so vor allem, um argumentative Nuancen deutlich zu machen, weniger jedoch, um ein bestimmtes Zeitkolorit oder ein Psychogramm der Handelnden zu erstellen.
Zu den Handelnden und Betroffenen Karl d’Ester, Emil Dovifat und Walter Hagemann gibt es gute Einzeldarstellungen. D’Ester erfuhr eine ausführliche Kritik anlässlich seines 100. Geburtstags durch Hans Bohrmann und Arnulf Kutsch, Dovifats Bemühungen um die Wiederbegründung des Berliner Instituts wurden jüngst eingehend von Andreas Kübler4 gewürdigt und Hagemanns Schicksal in Münster wurde vor mehr als zehn Jahren quellenkritisch von Anja Pasquay beschrieben.
Eine vergleichende und quellenkritische Darstellung steht aus. Auch dieser Beitrag wird sie nicht schreiben, das verästelte Thema kann man nicht auf wenigen Seiten schildern. Es wäre aber lohnend, einmal eine Gesamtdarstellung der Geschichte der Disziplin im 20. Jahrhundert zu schreiben, denn nach 1945 lässt sich nichts verstehen, ohne dass ein Blick auf die Zeit davor geworfen wird. Auch zielt eine auf die Literatur und das wissenschaftliche Werk der Beteiligten gerichtete Betrachtung zu kurz, wie sie Hachmei- ster6 vorgelegt hat, weil es nicht nur um Wissenschaft und Ideologie, sondern vor allem und immer wieder um Macht, Einfluss, Beteiligung und Stellen, Sympathien und Antipathien – kurz um allzu Menschliches ging, das sich nicht den Publikationen entnehmen lässt.
Um es vorweg zu nehmen: Unter den Beteiligten finden sich weder Lichtgestalten noch Dunkelmänner. Jan Tonnemachers Bemerkung auf dem Dovifat-Symposium von 1991, es gebe „Licht und Schatten“, besitzt ihre Gültigkeit auch für d’Ester und Hagemann. Zwar lässt sich die Geschichte der Institute nicht auf die Personen reduzieren, doch gerade in der Anfangszeit passierte wissenschaftlich wenig, weil zumindest zwei der Beteiligten alle Hände voll damit zu tun hatten, wieder in Amt und Würden sowie an Brot zu gelangen. …