Richard Mitten: „Ehrlose Gesellen“? Zur Rolle des Jüdischen Weltkongresses in der Waldheim-"Affäre" – und was österreichische Medien daraus machten

Einleitung: Am 3. März 1986 veröffentlichte profil die allerersten Dokumente zu Dr. Kurt Waldheims Vergangenheit. Österreichische Tageszeitungen hatten die Veröffentlichung bereits am 2. März, in den Sonntagsausgaben, angekündigt, und am Montag, dem 3. März nahmen fast alle anderen Tageszeitungen Stellung. Es ist aus mehreren Gründen anzunehmen, daß es sich hier um wohlüberlegte und vorbereitete Strategien handelte.

Zur gleichen Zeit, als profil Waldheims Vergangenheit ausgrub, stellte auch John Tagliabue von der New York Times (NYT) Recherchen an. Übrigens: Recherchen zu Waldheims Vergangenheit waren schon seit 1985 zu mindestens drei verschiedenen Aspekten angelaufen:

  1. zu den möglichen Verbindungen zwischen Waldheim und dem Kosaken-General Pannwitz bzw. den Pannwitz unterstellten SS-Einheiten;
  2. zu Waldheims angeblichen nationalsozialistischen Mitgliedschaften; und
  3. zu Waldheims Dienst unter dem nach dem Krieg von Jugoslawien als Kriegsverbrecher hinge- richteten Generaloberst Alexander Löhr.

Die ATT veröffentlichte am 4. März 1986 Tagliabues Artikel „Files Show Kurt Waldheim Served Under War Criminal“. Einige Dokumente hatte Tagliabue vom Jüdischen Weltkongreß (WJC) zugespielt bekommen. Das Interesse des WJC war laut eigener Erklärung erst im Jänner 1986 erwacht, und zwar wegen eines kleinen Hinweises im profil, daß Waldheim als „Ordonnanzoffizier im Stab der Heeresgruppe E, deren Kommandant Löhr war, gedient hatte“.

Die „wahre“ Geschichte, wie, von wem, warum und zu welchem Zweck der WJC diese Akten bekommen hat, ist noch nicht völlig geklärt; wichtiger und folgenschwerer sind allerdings die Vermutungen darüber in den österreichischen Medien. Hierzu muß aber betont werden, daß die Recherchen des profil-Journalisten Hubertus Czernin zu diesem Zeitpunkt nachgewiesenermaßen unabhängig von anderen Personen oder Medien unternommen worden waren.

Der AJT-Artikel beschreibt Waldheims Kriegsdienst unter Löhr und bespricht auch seine angeblichen Mitgliedschaften bei der SA und dem NSDStB. Die Schlagzeilen des profil und der A Erlassen jedoch eine unterschiedliche Betonung erkennen. Denn Waldheim gestand der NYT, daß er in der AOK 12 gedient hatte, spielte aber seine Rolle herunter. Er persönlich habe von keinen Kriegsverbrechen oder Greueltaten, die diesen Einheiten zugeschrieben wurden, gewußt. Waldheim hatte zwei Antworten auf die Frage nach seinen vermutlichen Nazi-Mitgliedschaften parat: Erstens wies er die Behauptung zurück, daß er je Mitglied dieser Organisationen gewesen sei; zweitens aber betonte er deren Harmlosigkeit…