Personelle Leitung, universitäre Einbettung, politisches Verständnis und nicht zuletzt die „Tradition“, schlicht die Geschichte, von wissenschaftlichen Instituten formen Ausrichtung und Zukunft eines Faches erheblich mit. Die eindringliche Auseinandersetzung mit Fachgeschichte, ob im Sinne einer Aufarbeitung politischer Instrumentalisierung, Aufdeckung bürokratischer Barrieren oder der wissenschaftlichen Ausrichtung, ist notwendig, um eine sinnvolle Institutspolitik zu gestalten. Das vorliegende Heft möchte einen Beitrag dazu leisten und richtet die Aufmerksamkeit auf theoretische Verortungen und praktische Herausforderungen im Zuge der Betrachtung von Institutsgeschichte(n) der Kommunikations-, Medien- und Publizistikwissenschaft.
Damit widmet sich medien & zeit einer Thematik, die zu unrecht als verstaubt gelten mag und versammelt vier Beiträge zum Schwerpunkt Fach- und Institutsgeschichte, die die Brisanz des Themas anhand der analytischen Betrachtung von „Ein-ProfessorInnen-Instituten“ über das 100-jährige Jubiläum der „Leipziger Zeitungskunde“ bis hin zum „Modestudium Publizistik“ darlegen.
Gemeinsam mit einer Sonderausgabe anlässlich der Ausstellung „Von der Propagandaschmiede zur Kommunikationswissenschaft“, die vom 24. September 2015 bis zum 25. Februar 2016 am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien (IPKW) gezeigt wird, zeigt medien & zeit die für das Fach tragende Rolle in der Auseinandersetzung und im praktischen wie im theoretischen Einfluß von Institutsgeschichte auf.
Der erste Beitrag mit dem Titel „Ein-Professoren-Institute in der Kommunikationswissenschaft“ stammt von Thomas Wiedemann und Michael Meyen. Beide Autoren haben sich schon bisher um die Pflege der Fachgeschichte verdient gemacht: Wiedemann mit seiner Studie über Walter Hagemann und seiner Arbeit im „Biografischen Lexikon der Kommunikationswissenschaft“, Meyen z.B. gemeinsam mit Maria Löblich mit dem von ihnen herausgegebenen Band „80 Jahre Zeitungs- und Kommunikationswissenschaft in München“, 2004. Darin stellten sie drei Fragen: Warum Institutsgeschichte, warum Bausteine, warum gerade diese? Ihre Antworten darauf trugen wesentlich zur inhaltlichen Orientierung der Ausstellung „Von der Propagandaschmiede zur Kommunikationswissenschaft“ bei.
Eine seit vielen Jahren am IPKW abgehaltene Lehrveranstaltung, die sowohl die Geschichte des Fachs wie auch des Instituts vermittelt, genießt bei den rund 200 teilnehmenden Studierenden hohe Attraktivität. Eine Erklärung für diesen großen Zuspruch mag darin gefunden werden, dass die Studierenden am IPKW bereits in der Studieneingangsphase für Anliegen der Medien- und Kommunikationsgeschichte sensibilisiert und anschließend die Möglichkeit wahrnehmen können, in Kleingruppen historische Arbeitstechniken zu erlernen und diese in Übungen sowie in Forschungsseminaren umzusetzen. In dieser Atmosphäre breitet sich die Überzeugung aus, dass ohne Wissen von der Entwicklung des Fachs sowie von der Geschichte des Instituts weder in der Lehre noch in der Forschung „bodennahe“ Identität entstehen und bestehen kann.
Ungeachtet dieser studentischen Wertschätzung von erhellenden und potentiell „therapeutisch“ wirksamen Ergebnissen einer Institutsgeschichte (Meyen/Löblich, 2004) ist aus einem größeren Blickwinkel der Feststellung von Wiedemann und Meyen zu folgen, dass die Geschichte der eigenen Disziplin neben den Gegenständen und Methoden sowie Theorien ein zentraler Anker für die kollektive Identität sein kann. In ihrem Beitrag zeigen sie auf, dass der Fokus auf Institute eine andere Fachgeschichte produziert als eine personen- oder ideenbezogene Perspektive. Von Pierre Bourdieu ausgehend, für den die Position der einzelnen Akteure im „wissenschaftlichen Feld“ zentral ist, gilt der Schwerpunkt ihres Beitrags, ausgeführt anhand von vier Thesen, dem in der Kommunikationswissenschaft weithin gegeben gewesenen „Ein-Professoren-Institut“. Das „wissenschaftliche Feld“ ist als soziale Welt wie andere auch mit Herrschaftsbeziehungen und sozialen Zwängen zu verstehen, die mehr oder weniger eigenen Gesetzen gehorchen. Das IPKW war von seiner Eröffnung 1942 als Institut für Zeitungswissenschaft bis zur Bestellung von Thomas A. Bauer 1993 als zweiter Ordinarius neben Wolfgang R. Langenbucher ein solches Institut.
Der zweite Beitrag kommt von Erik Koenen, seit 2012 an der Universität Bremen wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachgebiet Kommunikations- und Medienwissenschaft mit dem Schwerpunkt Kommunikationsgeschichte und Medienwandel. Er, der vor kurzem mit einer Studie über die Zeitungs- und Öffentlichkeitstheorie von Erich Evert, Leiter des Instituts für Zeitungskunde an der Universität Leipzig, promoviert hat, betrachtet das Spannungsfeld von Ideen, Ideologien und Interessen an diesem Institut seit 1915. Seine Zusammenschau erfolgt in fünf Etappen: (1.) Karl Büchers Idee und die Institutsgründung (1915-1926); (2.) theoretische Fundierung der Zeitungskunde als Wissenschaft durch Erich Everth (1926-1933); (3.) nationalsozialistische Ideologisierung und Instrumentalisierung unter Hans Amandus Münster (1933-1945); (4.) Rekonstitution nach 1945 und Re-Ideologisierung zur „Sozialistischen Journalistik“ (1945-1989); (5.) Abwicklung der „Sozialistischen Journalistik“ nach der politischen Wende 1989/90 und Neugründung eines integrativen Viel-Felder-Instituts für Kommunikations- und Medienwissenschaft (1989-1993).
Hans Bohrmann, Honorarprofessor am Institut für Journalistik der Universität Dortmund und langjähriger Direktor des Instituts für Zeitungsforschung der Stadt Dortmund, beschreibt in seinem Beitrag prägnant die Entwicklung der Journalistik im deutschen Hochschulsystem. Sie war davon geprägt, dass die meisten Studenten lange Zeit hindurch in anderen Fächern graduiert wurden, wenn sie nicht überhaupt ohne Examen abgingen. Diese Prüfungssituation wurde in der BRD ab 1957 verbessert. Erst die vom Bund in den 1970er Jahren finanziell unterstützten Modellversuche für Journalistik führten zum Doppeldiplom (MA plus Zertifikat der Deutschen Journalistenschule, München) und zum Diplomjournalisten (Dortmund). Der im Rahmen des Bologna Prozesses erfolgte Umstieg brachte keine qualitative Veränderung, so dass der Status einer Universitätsabschlussprüfung bestehen blieb.
„Von der Manufaktur zum Massenbetrieb“, lautet der Beitrag von Wolfgang R. Langenbucher, der von der Universität München kommend vom April 1984 bis September 2006 das Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien fast ununterbrochen leitete. Bloß in der Zeit von 1994 bis 1997 stand dem Institut Thomas A. Bauer vor. Der Titel des Beitrags gibt eine universitäre Geisteshaltung des Autors wieder, die sich im Großen und Ganzen auf alle MitarbeiterInnnen des Instituts übertrug. Langenbucher liefert eine Collage von Dokumenten, aus denen unzweideutig hervorgeht, worauf sich die Institutspolitik in all diesen Jahren vornehmlich konzentrierte: Senkung der Drop-Out-Rate. Dieses Ziel wurde ungeachtet desaströser personeller, räumlicher und sachlicher Verhältnisse – das Institut war das schlechtest ausgestattete aller österreichischen Universitäten – sowie der permanent dramatisch wachsender StudentInnenzahlen (Höchstzahl: 7.000) nie aus den Augen gelassen. Wie das Institut mit dieser Aufgabe umging und zu bewältigen versuchte, kommentiert Langenbucher mit einem Abstand von einem Jahrzehnt Emeritariat. Die Collage von Dokumenten und deren Kommentar bilden nicht nur einen substanziierten Abschluss des vorliegenden Heftes. Sie bildet auch eine geistige Brücke zu dem gleichzeitig produzierten Sonderheft von medien & zeit, das zur Begleitung der Ausstellung des Instituts „Von der Propagandaschmiede zur Kommunikationswissenschaft“ als Beitrag zur 650-Jahr-Feier der Universität Wien erscheint.
In der Rubrik Reseach Corner stellt Jungwissenschaftlerin Christina Steinkellner Ergebnisse Ihrer Masterarbeit vor und verweist dabei auf den politischen und gesellschaftlichichen Umgang der frühen 1950er Jahre mit dem nationalsozialistischen Erbe. Dazu legt sie eine detaillierte Untersuchung der einschlägigen Gazetten Aula sowie Eckartsbote vor.
Ein anregendes Lesevergnügen wünschen die HerausgeberInnen,
Wolfgang Duchkowitsch, Christina Krakovsky & Fritz Hausjell