Die vorliegende Ausgabe von medien & zeit führt ein neues Heftformat – ein thematisch offenes Heft – ein und verzichtet auf ein Schwerpunktthema. Damit wollen wir ein Forum für aktuelle kommunikations- und medienhistorische Forschung etablieren. Die Möglichkeit für AutorInnen, unabhängig von längerfristig geplanten Themenheften zu publizieren, soll ein Anreiz dafür sein, sich fortgesetzt mit historischen Fragestellungen innerhalb der Kommunikations- und Medienwissenschaft auseinanderzusetzen. Um sicherzustellen, dass möglichst vielfältige und qualitativ herausragende Beiträge veröffentlicht werden, haben wir uns internationalen Standards für wissenschaftliches Publizieren (double-blind peer review) verpflichtet. Zusätzlich laden wir eine/n GastherausgeberIn ein – für dieses Heft Patrick Merziger –, der/die jährlich wechseln wird. Das Ziel ist es, dieses neu eingeführte Heftformat zu verstetigen und zukünftig einmal pro Jahrgang ein offenes Forum für kommunikations- und medienhistorische Forschung anzubieten. Das „Offene Heft“ bereichert daher die thematische Vielfalt wie auch die Struktur von medien & zeit, indem neben den von HerausgeberInnen geplanten und strukturierten Themenheften auch ein aktuelles Abbild der historischen Kommunikations- und Medienforschung ermöglicht wird, da hier allen Themen – die sonst wegen fehlenden Bezugs zu den geplanten Themenheften nicht berücksichtigt werden würden – die Chance zur Veröffentlichung gegeben wird.
Unser Angebot ist auf eine erfreuliche Resonanz gestoßen, sodass nicht alle Beiträge berücksichtigt werden konnten. Insgesamt wurden 13 Beiträge eingereicht, von denen nach eingehender Prüfung fünf zur Publikation in diesem Heft ausgewählt wurden.
Der historischen Genreforschung und der Frühgeschichte der US-amerikanischen Reportage widmet sich Hendrik Michael (Bamberg) in seinem Beitrag Konstitution und Synthese der Reportage in der Lokalberichterstattung der New Yorker Massenpresse vor dem Bürgerkrieg in innovativer Weise. Er geht darin der Frage nach, welche Entstehungsbedingungen dazu führten, dass sich die Reportage als Genre in der medialen Berichterstattung durchsetzen konnte. Er bearbeitet damit ein bisher nur randständiges Gebiet der Kommunikationsgeschichte und argumentiert, dass die Entwicklung von Genres Hinweise auf größere Veränderungen geben können.
Niklas Venema (Berlin), beschäftigte sich in seiner Leipziger Masterarbeit mit Auslandskorrespondenten in drei politischen Systemen (1914-1939), deren Ergebnisse hier vorgestellt werden. Anhand einer sekundärstatistischen Analyse zeitgenössischer Pressehandbücher geht er der „strukturellen Entwicklung des Korrespondentenberufs“ vom Kaiserreich bis zur Weimarer Republik nach und zeigt anhand dreier Dimensionen (Ökonomisierung, Professionalisierung, Nationalisierung/Internationalisierung) Entwicklung und Wandel der Berufsrolle auf.
Thomas Birkner (Münster) und Valerie Hase (London) befassen sich in ihrem Beitrag mit dem journalistischen Wirken des ehemaligen deutschen Bundeskanzlers Helmut Schmidt (1918-2015), insbesondere als Mitherausgeber der Zeit. Auf Basis einer Inhaltsanalyse und einer Clusteranalyse wird in diesem Beitrag untersucht, wie Schmidt die deutsche und internationale Politik der letzten drei Jahrzehnte kommentierte und kritisierte. Der Beitrag interessiert sich methodisch für den Nutzen von quantitativer Framing-Forschung für die kommunikationshistorische Forschung und legt Framedynamiken und -statiken offen. Der Altkanzler nutzte spezifische, in seiner Biographie begründete Frames, die seine journalistischen Kommentare zu ökonomischen und politischen Entwicklungen strukturierten. Das Framing des Altkanzlers wurde aber nicht nur von seinem persönlichen Werdegang, sondern auch vom historischen Kontext, wie etwa der deutschen Wiedervereinigung, geprägt.
Zwei wenig untersuchte Bereiche kommunikations- und medienhistorischer Forschung verbindet der Beitrag Die Etablierung des Internets als Self-Fulfilling Prophecy? Zur Rolle der öffentlichen Kommunikation bei der Diffusion neuer Medien von Silke Fürst (Fribourg): öffentliche Mediendiskurse und der Einfluss von Debatten über „neue“ Medien auf deren Diffusion. Dieser theoretisch innovative Beitrag verbindet die Kommunikations- und Mediengeschichte mit der empirischen Diffusionsforschung. Dabei gelingt es der Autorin, wechselseitige Erklärungspotenziale für die Etablierung, Durchsetzung und Aneignung medialer Innovationen herauszuarbeiten.
Tobias Rohrbach, Franziska Oehmer und Philomen Schönhagen (Fribourg) schließlich schlagen in ihrem Beitrag ein „integratives Modell zur Analyse der kommunikationswissenschaftlichen Fachidentität“ vor. Sie bieten ein Instrument an, um „die Entwicklungsschübe des Fachs und seine Entwicklung zur Disziplin“ mittels quantitativ-standardisierter Verfahren zu ermitteln. Damit verknüpfen sie Ansätze einer meist am aktuellen Ist-Zustand des Fachs orientierten Forschung mit historischen Ansätzen. Einen ersten Eindruck, wie dieses Instrumentarium angewendet werden kann, geben die AutorInnen mit einer Fallstudie aus Anlass des 50-jährigen Jubiläums des heutigen Departements für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung DCM an der Universität Fribourg (Schweiz).
Wir wünschen eine spannende und anregende Lektüre!
Diotima Bertel (Wien), Erik Koenen (Bremen), Mike Meißner (Fribourg), Patrick Merziger (Leipzig), Bernd Semrad (Wien)
Nachwuchsförderpreis Kommunikationsgeschichte
In der Rubrik Research Corner finden sich drei Kurztexte der aktuellen Preisträgerinnen des Nachwuchsförderpreises Kommunikationsgeschichte 2017, vergeben von der Fachgruppe Kommunikationsgeschichte der DGPuK sowie dem kommunikationshistorischen Nachwuchsforum NaKoGe, und unterstützt von der Ludwig-Delp-Stiftung.
Julia Pohle (Berlin) stellt in ihrem Text Information for All? The emergence of UNESCO’s policy discourse on the Information Society (1990-2003) ihre Dissertation vor, die sich mit der politischen Reaktion der UNESCO auf die Verbreitung des Internets als Massenmedium in den 1990er-Jahren sowie dem damit verbundenen Konzept der „Informationsgesellschaft“ beschäftigt.
Einem ganz anderen Thema widmet sich Julia Lönnendonker (Dortmund), die in ihrem Kurzbeitrag Europäische Identität – Methodisches Vorgehen einer historisch vergleichenden Diskursanalyse europäischer Identität die Konstruktionen europäischer Identität anhand der Debatte um einen möglichen Beitritt der Türkei zur EWG/EG/EU seit 1959 beschreibt und sich insbesondere dem methodischen Zugang der wissenssoziologischen Diskursanalyse widmet.
Mit Remakes von „NS-Filmen“ setzt sich Stephanie Frank (Berlin) in ihrem Beitrag Wiedersehen im Wirtschaftswunder. Remakes von Filmen aus der Zeit des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik (1949-63) auseinander und zeigt, welch komplizierte und ambivalente Beziehung zwischen Anknüpfung und Wandel in den 1950er-Jahren bestanden.
Der Arbeitskreis für historische Kommunikationsforschung gratuliert den drei Preisträgerinnen herzlich!