Einleitung: Wenn wir uns vergegenwärtigen, welche Veränderungen seit dem Ende der DDR das Leben der Menschen in Ostdeutschland am meisten betroffen haben, nehmen die Wandlungen in Struktur, Erscheinungsbild und Wirkungsweise der Massenmedien einen der vorderen Plätze ein. Kommunikationsforschung hat deshalb die unerläßliche Aufgabe, die aktuelle Entwicklung der medienvermittelten sozialen Kommunikation zu untersuchen. Es ist zu ermitteln, was in dieser in welchem Maße und in welcher Qualität verhandelt wird, wie in dieser verschiedene gesellschaftliche Akteure – Institutionen und Repräsentanten der etablierten Politik, ökonomische Interessensgruppen, Medienkommunikatoren, einfache Gesellschaftsmitglieder -miteinander umgehen und was sie demzufolge für ein kulturvolles Zusammenleben der Menschen, für ihre selbstbewußte individuelle Existenz leistet.
Schien für einen Augenblick die historische Chance zu bestehen, mit solchen Untersuchungen die Erprobung neuer Wege der Gestaltung einer konsequent an Demokratie, Humanismus und sozialer Gerechtigkeit orientierten öffentlichen Kommunikation wissenschaftlich zu begleiten, sind wir nun, da die schlichte und großenteils von konservativen politischen Zielen geleitete Ausweitung des westlichen Mediensystems auf den Osten Deutschlands zur Tatsache geworden ist, in der Situation, das Funktionieren und die Probleme der nach den Gesetzen der kapitalistischen Marktwirtschaft organisierten Medienkommunikation unter den Bedingungen der neuen Bundesländer zu analysieren. Dabei kann es freilich nicht darum gehen, für den Westen Deutschlands vorliegende Untersuchungen einfach um Ergebnisse zu bereichern, die unter neuartigen, komplizierteren gesellschaftlichen Bedingungen gewonnen wurden.
Wir sehen das übergreifende Ziel Journalistik wissenschaftlicher Arbeit vielmehr darin, ausgehend von dem aus dem Grundgesetz der BRD abgeleiteten öffentlichen Auftrag der Medien, Chancen und Probleme der Gestaltung einer öffentlichen Kommunikation zu erkunden, die der Herausforderung durch die heutigen und die heraufziehenden globalen Probleme menschlicher Existenz angemessen ist. Dafür muß jede Möglichkeit erschlossen werden, die die jetzige Medienpraxis bietet, und es ist im Gespräch mit den verschiedenen Kommunikationspartnern nach Bedingungen ihrer Nutzung zu suchen. Insgesamt aber ist unseres Erachtens – nach allem, was vorliegende wissenschaftliche Ergebnisse über strukturell bedingte Grenzen und Widersprüche der etablierten Medien aussagen und was die Erfahrungen der konfliktgeladenen nationalen wie internationalen Gegenwart lehren – die für die Sicherung künftiger menschlicher Existenz lebenswichtige, vielleicht als kommunikationsökologisch zu bezeichnende Perspektive (Siehe dazu Mettler-Maibom, 1987; Fabris, 1989; Kübler, 1989) im Rahmen einer bloßen Optimierung des bestehenden, vom unlösbaren Widerspruch zwischen Marktorientierung und auf Verständigung zielender Kommunikation geprägten Mediensystems der kapitalistischen Gesellschaft nicht zu realisieren. Sie verlangt unausweichlich Suche nach neuen Wegen. Von dieser Hypothese aus muß Themenstellung und Weite des Blicks begleitender Analyse medienvermittelter Kommunikation, muß die Wahl der Methode, der zu stellenden Fragen bestimmt werden.
Unser im folgenden vorzustellendes, seit Anfang April 1992 bearbeitetes Projekt mit dem Titel „Informationsgebung der Massenmedien und soziale Integration der Bürger in Leipzig“ ist unter diesen Prämissen entstanden, wenngleich es nur einen sehr kleinen Beitrag zur Bearbeitung der umrissenen Problematik erbringen kann. Das ist, neben der kurzen Bearbeitungsfrist von nur einem Jahr, insbesondere durch die methodischen Schwierigkeiten bedingt, die eine komplexe Sichtweise mit sich bringen und die noch schwerer wiegen in Anbetracht unserer – historisch zu erklärenden – geringen Erfahrung auf dem Felde empirischer Forschung. …