Einleitung: Frühjahr 1927: Zum vierten Mal in der Geschichte der Ersten Republik steht den Österreicherinnen und Österreichern die Entscheidung über die Zukunft des Landes bevor. Plakate pflastern die Straßen und werben um die Gunst der Wähler. Am 24. April 1927 ist es schließlich soweit: Die Nationalratswahl fällt zugunsten der „Einheitsliste“, in der unter anderem die christlichsoziale und die großdeutsche Volkspartei zusammen geschlossen sind, aus, und Ignaz Seipel wird wiederholt Bundeskanzler. Der „Prälat ohne Milde“ ist es demnach auch, der die Geschicke des Staates lenkt, als der Justizpalast im Juli jenes Jahres in Flammen aufgeht. Ein Moment, in dem der Riss, der die Nation durchzieht, sichtbar größer wird.
Szenenwechsel: Im Herbst desselben Jahres finden sich auf den Straßen Wiens und Österreichs erneut Plakate, die eine politische Grundfärbung enthalten und ähnlich den im Frühjahr affichierten Wahlkampfplakaten das Drohgespenst der Armut thematisieren und inszenieren (Beispielsweise hieß es hier auf Plakaten drängend, wenn nicht sogar befehlend: „Die Kinder wachsen und müssen Arbeit finden!“, Kontakt 7-8/1930, S. 13). Wieder scheint sich ein Wahlkampf anzukündigen. Anders als noch wenige Monate zuvor wird dem Betrachter allerdings nicht die Entscheidung für die christlichsoziale, großdeutsche oder sozialdemokratische Partei abverlangt. Die nun eingeläutete Plakat-Schlacht, die Besserung der Handelsbilanz und Verringerung der Arbeitslosigkeit verspricht, soll nicht zu einer Entscheidung in der Wahlkabine, sondern an der Ladentheke – direkt an der Konsum-Front – führen. „Kauft österreichische Waren!“ tönt es in den folgenden Jahren eindringlich von Plakaten, Inseraten, Flugblättern, aber auch aus den Rundfunkgeräten jedem Bürger und jeder Bürgerin entgegen. Die hier beworbene „Partei“ hieß: „Österreich“ (Die Industrie, 31/1927, S. 4). Mit einem Schlag waren die „Anderen“ jetzt außerhalb der Grenzen Österreichs und nicht im Lager der „gegnerischen“ Parteien zu suchen. Das überrascht und erstaunt angesichts der Entwicklungen der vorhergehenden Monate. Umso mehr, wenn deutlich wird, dass die Aktion „Kauft österreichische Waren!“ (KöW) auf den Konsens und die Unterstützung der Großparteien bauen konnte. Mehr noch, diese flächendeckende Kampagne war paradoxerweise auf die Initiative eines hochrangigen großdeutschen Politikers zurückzuführen, den Minister für Handel und Verkehr und späteren Obmann der Partei, Hans Schürff (Österreichische Reklame, 3/1927, S. 29). So aufklärungsbedürftig dieser Umstand zunächst auch erscheinen mag, so offen liegt andererseits auf der Hand: Konsum war in den ausklingenden zwanziger Jahren zu einer Staatsangelegenheit erklärt worden. Jeder „gute“ Österreicher und jede „gute“ Österreicherin sollte nun zugunsten des Aufbaus der heimischen Wirtschaft, der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und der Aussicht auf eine glänzende Zukunft dazu angehalten werden, inländische Waren gegenüber ausländischen Erzeugnissen zu bevorzugen. Eine Forderung, die zu Beginn der dreißiger Jahre zudem in Form einer eigens kreierten Schutzmarke visuell bezeugt wurde: Die ausgezeichneten österreichischen Produkte stellte man sichtbar unter die schützenden Fittiche eines amtlich anmutenden Adlers. Wirtschaftswerbung und nationale Propaganda verschmolzen somit im Rahmen dieser Kampagne zu einer Einheit, die wiederum Einheit – in Form der Konzeptionierung eines Wir- Gefühls und Bewusstseins für Österreich – gebären sollte (vgl. auch Gries, Morawetz, 2006). …