Christian Oggolder: Wissenschaft und Forschung in der nationalsozialistischen Presse 1938 – 1945

Einleitung:

Realitäten in Relation

„Der völkische Staat muß von der Voraussetzung ausgehen, dass ein zwar wissenschaftlich wenig gebildeter; aber körperlich gesunder Mensch mit gutem, festem Charakter, erfüllt von Entschlußfreudigkeit und Willenskraft, für die Volksgemeinschaft wertvoller ist, als ein geistreicher Schwächling ‘ So urteilt der Führer in seinem Buche ,Mein Kampf über die Bedeutung der Leibesübung und hat damit dem deutschen Sport seine Losung gegeben!“

Unter dem Gesichtspunkt unserer Fragestellung handelt es sich dabei nicht bloß um eine Äußerung zur „Bedeutung der Leibesübungen“, sondern ebenso um eine Stellungnahme zur Bedeutung von Geist und Intellekt in der Konzeption des „völkischen Staates“.
Am 21.7.1944 bringt das Blatt auf Seite zwei unter der Überschrift: Scheel vor Professoren und Soldaten / Auch der Wissenschaftler an der Front eine Rede des nunmehrigen Reichsdozentenführers: „[..fett hervorgehoben] Wir wollen es aussprechen: der Wissenschaftler und der Mann des akademischen Berufes, der sich in diesem für das deutsche Volk so wichtigen, ja entscheidenden Lebenssektor bewährt, verdient auch öffentliche Anerkennung Die Bedeutung der akademischen Berufe, der Arzte, Richter, Ingenieure und Erzieher für die Entwicklung und Zukunft des deutschen Volkes und den Kampf um den Sieg ist sehr groß.
Wir wollen uns der Größe der Verpflichtung, die mit diesen Berufen verbunden ist, jederzeit würdig erweisen. [Ende Hervorhebung] Ln besonderem Maße gilt das für die Forschung. Forscher und Träger der Wissenschaft sein zu dürfen, bedeutet höchste Berufung. Wenn wir gerade im Kriege darüber sprechen, dann möchten wir unsere Forscher als Generale des Geistes bezeichnen, […]“

Zwei völlig divergierende Äußerungen Geist und Intellekt betreffend, von unterschiedlichen Personen zu unterschiedlichen Zeiten geäußert, beide im Völkischen Beobachter veröffentlicht. Es stellt sich also die Frage: Hat sich die Position zu Wissenschaft und Forschung im Laufe der Jahre, unter dem Eindruck der Kriegsnotwendigkeit, in der NSDAP geändert? Oder ist dies Ausdruck unterschiedlicher Positionen zur Thematik?

Eine Analyse der Wissenschaftsberichterstattung im Nationalsozialismus kann derartige Fragen a priori nicht beantworten. Was sie beantworten kann, ist die Frage nach der Position der Zeitung zur Thematik, das heißt welches Ausmaß wurde insgesamt der Berichterstattung zu Wissenschaft und Forschung eingeräumt, gab es Schwerpunkte der Berichterstattung und schließlich – und das ist besonders zu betonen – gab es Divergenzen zwischen Berichterstattung über Wissenschaft und Forschung in der Presse und den wissenschaftspolitischen Bedingungen im NS-Staat?

Es handelt sich dabei um zwei Realitäten, in denen Wissenschaft und Forschung Thema sind. Eine Untersuchung von Medieninhalten ist somit eine Untersuchung der durch die Medien konstituierten Realitäten. Diese können nicht dafür herangezogen werden, um außermediale Realitäten zu rekonstruieren, vielmehr ermöglicht ihre Untersuchung eine klarere und umfassendere Bewertung historischer Phänomene. …