Editorial 1/2015 Journalismus, Medien und Öffentlichkeit als Beruf

Entfesselung, Formierung, Professionalisierung des medialen Berufsfeldes

Mit dieser Ausgabe von medien & zeit wird das im letzten Heft begonnene Thema „Journalismus, Medien und Öffentlichkeit als Beruf: Entfesselung, Formierung und Professionalisierung des medialen Berufsfeldes“ fortgesetzt. Wie dort bereits erläutert (Koenen & Birkner, 2014), zielt der Themenschwerpunkt grundsätzlich auf eine Öffnung der Kommunikationsgeschichte für die Vielfalt der Berufe, wie sie sich von der zweiten Hälfte des 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts um die Felder Journalismus, Medien und Öffentlichkeit herausgebildet und ausgeprägt haben. Im Sinne einer „integrativen Perspektive“ ist dies ein prinzipielles Plädoyer für eine Weitung des Forschungsfokus auf das Feld der Geschichte der Kommunikations- und Medienberufe, um einen übergreifenden kommunikations- und medienhistorischen Erkenntniskontext herzustellen, der sich für die Genese, Organisation und strukturelle Tiefengliederung des modernen medialen Berufszusammenhangs in Gänze interessiert. Nach den Beträgen des vorigen Heftes sollen die in dieser Nummer zum Thema versammelten, wiederum ganz unterschiedlichen Beiträge aus dem breiten Spektrum der Journalismus-, Kommunikations- und Medienberufsgeschichte weitere Impulse liefern. In dieser Weise offenbaren die Beiträge erneut ein facettenreiches und spannendes Forschungsfeld, in dem noch vielen interessanten Fragen, Problemen und Themen nachgegangen werden kann.

Eröffnet wird das Heft mit dem Beitrag von Tobias Eberwein, der mit dem „Literarischen Journalismus“ einer Entwicklung nachspürt, die der im 19. und 20. Jahrhundert einsetzenden, primär am Prinzip der Vernachrichtlichung orientierten Professionalisierung von Journalismus entgegenläuft. Meist, so die Kritik von Eberwein, wird Journalismusgeschichte nur als „normale“ Modernisierungsgeschichte beschrieben, in deren Verlauf sich Journalismus als autonomes Funktionssystem zur journalistischen Kommunikation herausbildet. In diesem Zusammenhang distanzieren und emanzipieren sich auch Journalismus und das gleichfalls neu entstehende Funktionssystem Literatur wechselseitig voneinander. Gleichwohl bleibt eine Zone von Interrelationen und Wechselwirkungen zwischen beiden Funktionssystemen bestehen, die sich als „Literarischer Journalismus“ bezeichnen lassen. Eberwein unternimmt in seinem Beitrag eine originäre theoretische Fundierung des in der Forschung wenig beachteten Phänomens des „Literarischen Journalismus“, die er anhand der Beispiele der Entwicklung des modernen Feuilletonismus und der literarischen Reportage historisch exemplifiziert. Schließlich ordnet er die Genese und Funktion des „Literarischen Journalismus“ wieder in den größeren Kontext journalistischer Professionalisierungsprozesse ein.

Im Mittelpunkt des Beitrags von Juliane Scholz, der Ergebnisse ihrer Dissertation vorstellt, steht die Berufs- und Professionalisierungsgeschichte des Drehbuchautors in Deutschland und den USA im Laufe des 20. Jahrhunderts. Der Drehbuchautor wird von Scholz als moderner Kreativ- und Medienberuf definiert, der seit den 1910er-Jahren innerhalb der großbetrieblichen Filmindustrie entstand. Überlagert wurde dieser organisatorische Kontext der Professionsbildung von einer starken Orientierung an freien und künstlerischen Berufen, weil viele der Drehbuchautoren aus dem literarischen Feld zum Film kamen. Mithilfe eines kultur- und sozialhistorisch justierten Konzepts historischer Professionalisierung rekonstruiert Scholz die daraus resultierende spannungsreiche Verberuflichungsgeschichte des Drehbuchautors und stellt im Vergleich Deutschland – USA zwei dominante Professionalisierungsstrategien heraus, die je nach historischem und gesellschaftspolitischem Kontext benutzt wurden: eine freiberuflich-individuelle Strategie mit einem hohen Augenmerk für berufliche Autonomie sowie eine gewerkschaftlich-kollektive Strategie, die auf wirtschaftliche und soziale Sicherheit Wert legte. Zuletzt geht sie den im 20. Jahrhundert vielfachen politischen und staatlichen Eingriffen in die freie Berufspraxis von Drehbuchautoren nach und weist auf daraus resultierende Phasen und Momente von De-Professionalisierung hin.

Mit dem letzten Beitrag zum Themenschwerpunkt wagt Edzard Schade einen weiten Wurf und unterstreicht zugleich nachdrücklich die generellen Erkenntniskompetenzen und -relevanzen kommunikationshistorischer Forschung für die Erforschung der gegenwärtigen tiefgreifenden strukturellen Wandelprozesse der Medienlandschaft. Vor dem Hintergrund des virulenten Problems der Qualitätssicherung publizistischer Produkte im digitalen Zeitalter greift Schade das klassische berufssoziologische Professionalisierungskonzept auf, um zu prüfen, inwieweit dieses Konzept noch für die Erklärung heutiger Professionenbildung und Professionalisierungsprozesse trägt und wo es gerade im Hinblick auf den Erhalt publizistischer Professionalität und Qualität als gesellschafts- und medienpolitische Zielnormen verändert werden müsste. Grundlage, um Stärken und Schwächen dieses Konzepts in dieser Hinsicht zu erfassen, ist eine pointierte historisch-empirische Trendanalyse der Professionalisierungserfolge und Entprofessionalisierungstendenzen im schweizerischen Medienbereich über die letzten hundert Jahre. Mit zahlreichen Hinweisen auf ausstehende Forschungen gibt Schade damit quasi im Nebenbei der Kommunikationsgeschichte und -wissenschaft nicht nur eine umfängliche Forschungsagenda zu diesem Feld auf, sondern liefert zum Schluss auch noch einen Maßnahmenkatalog für eine innovative und visionäre Weiterentwicklung des Professionalisierungskonzepts im Zeitalter des Internet.

Schließlich ist in diesem Heft dank des Arbeitskreises für historische Kommunikationsforschung, der diesen Publikationsraum erneut zur Verfügung stellt, wieder ein Preisträger des Nachwuchsförderpreises der Fachgruppe Kommunikationsgeschichte der DGPuK mit einem Spezialbeitrag vertreten. Im Rahmen der Fachgruppentagung Anfang des Jahres in Hamburg konnte dieser Preis bereits zum zweiten Mal vergeben werden. Prämiert wurde in diesem Jahr Christoph Hilgert für seine herausragende Dissertation Die unerhörte Generation. Jugend im westdeutschen und britischen Hörfunk der 1950er- und frühen 1960er-Jahre. In seinem Beitrag stellt er die Dissertation und zentrale Ergebnisse vor. Herzlichen Glückwunsch!

Gastherausgeber:
Erik Koenen & Thomas Birkner