Marlene Steeruwitz: „Daran weder gedenken noch erinnern noch erinnert werden“

Einleitung: „Es ist schon besser. So!“ sagt der Kellner im Café Eiles. „Ja. Es ist am besten. So.“ Die ältere Dame nickt. Sie fände das auch am besten so. Und es hätte auch keinen Sinn. Ein Leben. Wenn man nichts mehr machen könne. Wenn man sich nicht mehr bewegen könne. Wenn einem alles gemacht werden müsse. Und Schmerzen. Wenn man nichts mehr genießen könne. „Ja“, nickt der Kellner. Und der habe ja auch alles gehabt. Der wäre gereist. Der wäre auf der ganzen Welt gewesen. Wo der überall gewesen wäre. Er hätte das in der Kronenzeitung gelesen. Das wäre in allen Zeitungen zu lesen gewesen. Der hätte die ganze Welt gesehen. Und. Er. Er selber. Er wolle das für sich selber auch nicht anders. Schnell. Ganz schnell solle es gehen. Schnell und für niemanden eine Last. Keinerlei Abhängigkeiten. Er wolle von niemandem gewaschen werden müssen. Nein. Das hätte keinen Sinn. Wenn einem nichts mehr Freude mache. Und die ältere Dame stimmt ihm zu. Es solle schnell gehen. Niemandem eine Last. Und der. Der habe ja ein gutes Leben gehabt. Ja, antwortet der Kellner. Manche hätten eben alles Glück.

„Die Österreicherinnen und Österreicher.“ Ich zitiere aus Wassermann, Heinz P.: „Naziland Österreich? Studien zu Antisemitismus, Nation und Nationalsozialismus im öffentlichen Meinungsbild.“ Zitatanfang: „Der Nationalsozialismus als System und der Holocaust als Spezifikum stoßen im Meinungsbild auf Ablehnung, die Mittäterschaft von Österreichern ist ab den späten 70er Jahren durchaus – und zwar mehrheitsfähig – anerkannt, trotzdem reklamieren die Befragten einen kollektiven Opferstatus, trauen den Erkenntnissen der Wissenschaft nicht, sahen sich in den 90er Jahren nicht befreit, sondern auf der Seite der Verlierer und wollen vor allem – so die Analyse zur „Relevanz von Gedenken und Erinnern“ – daran weder gedenken, noch erinnern, noch erinnert werden.“ Zitatende.

In dem Gespräch im Café Eiles über den Tod des Promis. Nicht die Personen. Das Gespräch erinnert sich. Der Tod tritt als Abholer auf. Die Sprechenden liefern den Toten aus. Ohne einen Augenblick an eine Gegenwehr zu denken, wird die möglichst rasche Abholung als richtig mitgedacht. Eine erinnerungslose Abholung soll das werden. Möglichst im Schlaf. Oder sehr schnell. Über das Leben wird gar nicht gedacht. Dass es ums Leben gehen könnte, kommt den Sprechenden gar nicht in den Sinn. Leben, das ist Unversehrtheit. Die Definition von Unversehrtheit ist komplex und ändert sich. Aber. Jede Versehrung verwirkt das Leben. Es wird nicht der Wert des Lebens gedacht. Die zur Disposition stehende Unversehrtheit bedingt die Lebensberechtigung. Wenn die Personen sich nicht erinnern können. Oder wollen. Der unbearbeitete Antisemitismus am Grund unserer Kultur ist als Kontinuum immer da, den Gedanken die entsprechende Färbung zu verleihen. Die Sprechenden dieser Szene müssen sich selber in ihrer eigenen Vorstellung die Lebensberechtigung auf eine diffuse Ganzheit reduzieren. – Keine Schmerzen. Keine Abhängigkeiten. Genussfähigkeit. – Sie müssen am Beispiel des prominenten Toten sich selber den Totenschein ausstellen. Und der ist von Sauberkeit getragen. Und von einem Sich Selber Wegräumen.

Zitat: „…und wollen vor allem – so die Analyse zur „Relevanz von Gedenken und Erinnern“ – daran weder gedenken noch erinnern noch erinnert werden.“ Zitatende.

Nun ist es von Leben zu Leben verschieden, wie persönliches und nationales Schicksal ineinander verstrickt sind. Diese Verstrickung aber Patriotismus nennen zu wollen und eine einfache Affirmation dieser Tatsache durch die Verschiebung von Gedenken zu Gedanken herstellen zu wollen. Das bedeutet, den von Rudolf Burger so herbeigesehnten Schlussstrich unter die Vergangenheit zu ziehen. Das bedeutet die Räume der Vergangenheit erneut zu versiegeln. Das Gedenken, das im Erinnern von etwas alle Erfahrungsmöglichkeiten mobilisiert, durch ein Denken über etwas mit der Entferntheit der Historisierung zu ersetzen. Und. Im Sinnspruch der TV-Werbung für diese Umbenennung des Gedenkjahres in ein Gedankenjahr. „Lasst uns gemeinsam nachdenklich sein“, wird diese Umbenennung von der Beschreibbarkeit der Historisierung wieder in die Gefühlsaufladung eines Nachdenklichen geführt. Die Formel scheint mir zu sein: Man entzieht dem Blick auf die Vergangenheit die Empathie des Gedenkens, behauptet den Herrschaftsblick auf unveränderbare Geschichtsräume in einem zur Kenntnis nehmenden Denken an die Geschichte und lässt in diesem Denken dann esoterische Gefühle zu. Dann. Als beruhigende Glasur.

Sentimentalität ist das. Eine nostalgiegeladene Sentimentalität, die von der Unerreichbarkeit des Vergangenen ausgeht. Eine absolut gesetzte Unverändertheit ist das dann, die hier als durchaus gewünscht angenommen werden kann. Eine einmal gedachte Geschichte und mit dem Einmal Denken erledigt. Aber. In der Passage zum Nachdenklich Sein. – Es wird in einem solchen Satz ja ein Prozess beschrieben. Ein, die Nachdenklichen in einem Werden einfassender Prozess ist das. Die, die nicht nachdenklich werden und dann sein möchten. Oder können. Zum Beispiel weil der Gegenstand der Nachdenklichkeit realer Bestandteil ihrer Biographie ist. Die sind ausgeschlossen. Sanft sind sie das. Sehr unbemerkt funktioniert dieser Ausschluss über social advertising im ORF-Fernsehen. …