Roland Steiner: Kommunikation als Konfrontation und Kontroverse. Für Fritz Hausjell

Mitte der 1980er herrschte Aufbruch am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft in Wien (IPKW). 1984, als das Studium von einem reinen Doktorats- in ein Diplomstudium gewandelt wurde, postulierte Vorstand Wolfgang R. Langenbucher:

„Nichts deutet darauf hin, daß man in der zweiten Hälfte der 80er-Jahre weniger Kommunikationsberufler als in der Vergangenheit braucht.“ (Langenbucher 2015, 41)

Diese Prognose bewahrheitete sich auch für die Zahl der Inskribierten: von rund 2.000 anno 1983 bis 6.000 anno 1988 (derzeit sind es im Bachelor rund 3.000). Ab 1986 wurden die Studienbücher zur Publizistik- und Kommunikationswissenschaft ediert, etwa der Band Medien- und Kommunikationsgeschichte. Ebenfalls 1986 – just in der Kulmination der „Waldheim-Affäre“ – formierte sich der „Arbeitskreis für historische Kommunikationsforschung“ (AHK), die Herausgeberschaft von medien & zeit mit ihrer ersten Ausgabe Wege zur Kommunikationsgeschichte. Gründer waren Wolfgang Duchkowitsch, Theodor Venus, Peter Malina, Oliver Rathkolb – und Fritz Hausjell, der 1985 in Salzburg mit einer kollektivbiografischen Analyse von Journalisten gegen Demokratie oder Faschismus promoviert hatte.

Warum diese Fakten? Suchen Sie bei derStandard.at nach „Publizistik“ und „Hausjell“. Beide Begriffe sind Trigger. Sehr bald poppt das Totschlagargument der Delegitimierung auf, denn „PublizistInnen“ würden nur TaxifahrerInnen. (Sind Sie schon mal mit einem/r IPKW-Absolventen/ in Taxi gefahren?) Und bei Hausjell wird rasch der – seine Objektivität untergraben sollende – Hinweis auf seine Mitgliedschaft beim Bund Sozialdemokratischer AkademikerInnen gepostet, füllt dieser doch mehr als ein Drittel seines „Wikipedia“-Eintrags. Wer mit Fritz Hausjell des Abends – bei einem Glas aus seinem gut bestückten Weinkeller – zusammensitzt, wird vieles gewahr, genannte Mitgliedschaft ist dabei so peripher wie Fußballthemen.

Der 1959 im bäuerlichen Milieu Lenzings (Oberösterreich) geborene, spätere Maschinenbau-HTL-Absolvent hatte sich dankenswerter Weise gegen eine solche Laufbahn entschieden und pendelte alsdann zwischen Medienpraxis (beim Politik- und Kulturmagazin Extrablatt) und Medienstudium (Univ. Salzburg, dann Wien) bzw. Pädagogik. Die Praxis begann in der Schule als kritischer Schülerzeitungsredakteur, die Lehre am Wiener PKW-Institut 1988. Seine Beliebtheit diesbezüglich mögen ÖH-Vertreter-Innen zwar bezeugen, seine gut geführte Datenbank kann die Zahl betreuter Dissertationen und Diplomarbeiten, Bachelor- und Magistersowie PhD-Arbeiten gleichwenig faktisch präzisieren. Dies resultiert nicht bloß aus dem über Jahrzehnte katastrophalen Betreuungsschlüssel, der alle dafür befugte IPKW-Lehrende betraf: es hängt an seinem fachthematisch vielfältigen Interesse, seiner Begeisterungsfähigkeit und Motivationskraft. Viele darunter suchen ihn ob seiner Arbeitsschwerpunkte auf.

Hier ist zuerst die Medien- und Kommunikationsgeschichte zu nennen. Wolfgang Duchkowitsch und Fritz Hausjell schufen mit ihrer legendären Einführungsvorlesung den Nährboden für viele Übungen und Seminare – später häufig geleitet von anderen AHK-Mitgliedern wie Gaby Falböck, Obfrau seit 2012, Christian Schwarzenegger, Bernd Semrad u.a. –, die auch nach Umstellung auf die Bologna-Ordnung und Teilnehmerlimitierung „überrannt“ wurden. Es ist keine geringe Leistung, junge Menschen mit historischen Thematiken zu begeistern – und ebenso wenig, solch dann Affizierte für die Mitarbeit im AHK und an medien & zeit zu gewinnen. Dank dieser im deutschsprachigen Raum durchaus singulären Fachzeitschrift, aber auch nach ihrer Gründung entstandener Forschungsprojekte und Publikationen u.a. Fritz Hausjells gelang es: nebst der gleichwohl konfrontativen wie verständigungsorientierten Dissertation (zweibändig 1989 publiziert) etwa der Sammelband Die veruntreute Wahrheit. Hitlers Propagandisten in Österreichs Medien (1988, gem. mit Oliver Rathkolb, Wolfgang Duchkowitsch) oder der Monografie Journalisten für das Reich. DerReichsverband der deutschen Presse’ in Österreich 1938-45 (1993). Die Auseinandersetzung mit der Fachinstitutsgeschichte mündete etwa in Die Spirale des Schweigens. Zum Umgang mit der nationalsozialistischen Zeitungswissenschaft (2004,
gem. mit Wolfgang Duchkowitsch, Bernd Semrad). Kraterähnliche Forschungslücken konnten durch diese – und daraus motivierte Diplomarbeiten – geschlossen werden.

Ein weiterer Fokus liegt in der Beschäftigung mit dem Exil. Nachdem Hausjell 1987 seinen Zivildienst beim Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands (DÖW) absolvierte, ließen ihn die Thematiken Verfolgung, Widerstand, Vertreibung, Exil nicht mehr los. 1990 wurde er Mitglied der „Exilkommission“ im DÖW, 2008 Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Exilforschung. 2003 schließlich habilitierte er sich am IPKW bei Wolfgang R. Langenbucher kumulativ mit Österreichischer Journalismus im Exil 1933/34-1945 und wurde ebenda zum außerordentlichen Professor ernannt.

Als solcher konfrontiert er uns lehrend, forschend, publizierend vehement mit Formen
der Ausgrenzung und setzt sich für positive mediale Diskurse rund um Migration, Disability und Diversität ein. Just innert solcher medialer Debatten wird er dabei mitunter durchaus angefeindet: etwa bezüglich seiner Forderung von der Herkunftsnennung ausländischer (mutmaßlicher) StraftäterInnen abzusehen bis hin zu einer solchen nach redaktionell verstärkter Implementierung von MitarbeiterInnen mit Migrationshintergrund oder Beeinträchtigung. Der Verfasser erinnert sich, dass Fritz sich die Zeit nahm, einem wochenlang aggressiv geführten Mailverkehr mit einem Rezipienten zu begegnen. Und er fand 2018 auch auf die via „Twitter“ durch einen Politiker geforderte Psychiatrisierung seinerseits eine deeskalierende Antwort: ein Plädoyer für Gesprächskultur.

Hausjells Schwerpunkt Medien- und Kommunikationspolitik impliziert freilich die Beschäftigung mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Auch hierbei ist er in seiner Pro-Position mitunter heftiger Kritik ausgesetzt – von PolitikerInnen bis JournalistInnen. Von diesen befeuert, lässt sich auch unter RezipientInnen häufiger der Ruf nach Abschaffung der Rundfunkgebühr vernehmen. (Anm.: Fragen Sie diese nach ihrem monatlichen Medienbudget. Wenn sie Streaming- und Bezahlsender-Abos summieren und orf.at nutzen, wiederholen Sie die GISFrage.) Medienpolitische Implikationen finden sich kohärent in Hausjells Engagement für Medien- und journalistische Berufsfreiheit, so als Vorstandsmitglied bei „Reporter ohne Grenzen“ – unzensurtiert.at nannte ihn für seine Tätigkeit beim „links-linke(n) Privatverein“ einen „blutroten Medienideologen“.

Als Publizist verantwortet er die Buchreihen Kommunikation. Zeit. Raum (LIT Verlag, seit 2004) und Öffentlichkeit und Geschichte (Halem Verlag, seit 2005) mit. 2007/8 fungierte er als wissenschaftlicher Berater des Projekts Nachrichten in Österreich sowie 2009/10 für das deutsche Pendant Zeitungszeugen, innert derer von wissenschaftlichen
Analysen gerahmt Nachdrucke von NS-Zeitungen zu rezipieren waren und die zu Kontroversen führten. Hausjell scheut solche auch nicht im Bereich der Publikumsmedien. Dies ist mit der Grund, warum seine Nummer bei unzähligen österreichischen RedakteurInnen eingespeichert ist, quasi nach dem Motto „Hausjell ist immer für eine (prompte) Expertise gut.“ Eingespeichert ist er aber auch bei uns: KollegInnen, Studierenden und der Familie. Ad multos annos, lieber Fritz!

Roland Steiner, Fachhochschule St. Pölten

Bibliografie

Langenbucher, W. R. (2015). Von der Manufaktur zum Massenbetrieb. Institutspolitik für die Studentinnen und Studenten. In: medien & zeit, 30 (3), S. 40-56.

Schwarzenegger, C. (2013). Fritz Hausjell. In: Meyen, M. & Wiedemann, T. (Hg.), Biografisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft. Köln. Abgerufen von http://blexkom.halemverlag.de/fritz-hausjell/, Zugriff am 20. November 2019.