Meine Verbindung mit medien & zeit (m&z) ist fast so alt wie die Zeitschrift selbst. Jedenfalls scheint mir das so. Die Bitte um ein Wort zum 30-jährigen Jubiläum erreicht mich auf dem Land in Frankreich, wo mir kein Archiv zur Verfügung steht. Ich bin auf Erinnerungen angewiesen, von denen HistorikerInnen wissen, dass sie trügerisch sind. Im Gedächtnis geblieben sind fünf Episoden. Aus ihrer chronologischen Skizze können sich Antworten auf die Impulsfragen ergeben.
Aus der ersten, von Ende der 1980er Jahre, ist mir die Anregung der Redaktion in Erinnerung, über das Selbstverständnis der Kommunikationswissenschaft (KW) und die Bedeutung von Geschichte für das Fach zu schreiben. Das gab mir Gelegenheit, wieder über etwas nachzudenken, das mich seit dem Soziologie-Studium beschäftigt hatte: Die starke Aufmerksamkeit, die soziologische Klassiker wie Ferdinand Tönnies, Max Weber, Robert E. Park oder Theodor Geiger den Themen Öffentlichkeit und Journalismus schenken. Später habe ich bei UVK ein Buch mit entsprechenden Texten der Klassiker herausgegeben. Das hat wenig daran geändert, dass sie in der KW bis heute wenig Beachtung finden, obwohl das zu deren Profil als Sozialwissenschaft maßgeblich beitragen könnte. Kürzlich hat Siegfried Weischenberg mit zwei Bänden über „Max Weber und die Medienwelt“ immerhin das Potential ausgelotet.
Die zweite Episode hat Aufsehen erregt. Anlässlich einer Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK) in Wien, wo Jörg Haiders FPÖ Regierungspartei geworden war, hatte es eine Diskussion über die NS-Vergangenheit der KW in Österreich gegeben. Das veranlasste den Redakteur des DGPuK-Organs „Aviso“, damals Michael Haller, mich um einen Beitrag über die NS-Vergangenheit der KW auch in Deutschland zu bitten. Der Beitrag erschien 2001 unter dem Titel „Mitgemacht – weitergemacht – zugemacht“ und löste zunächst eine Welle der Empörung und dann der Solidarisierung mit dem Text aus. Anhand von Schlüsselpersonen wie Wilmont Haacke, Elisabeth Noelle-Neumann und Franz Ronneberger hatte ich nur erledigt, was andere Disziplinen längst hinter sich hatten. m&z gab mir dann Gelegenheit, auf die empörten Reaktionen zu antworten. Weil sie hinsichtlich des Mitmachens, Beschönigens und Zumachens kein Blatt vor den Mund nimmt, ist die Zeitschrift nach wie vor unentbehrlich. Neulich meinte ein Kollege, ich hätte damals etwas Wichtiges für das Fach getan. Wenn überhaupt, dann weniger durch den „Aviso“-Beitrag selbst, der eine überfällige Selbstverständlichkeit war, als durch die von m&z möglich gemachte öffentliche Verarbeitung der ausweichenden, beschönigenden, in Einzelfällen auch antisemitischen Reaktionen auf ihn.
Drittens erinnere ich mich gern an den Rückhalt, den m&z in zweifelhaften Diskussionen darüber bietet, ob Geschichte überhaupt notwendig sei. Im Winter 2005/06 habe ich ein Semester lang in Wien gearbeitet und am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (IPKW) eine Vorlesung zur Geschichte des Journalistenberufs gehalten. Just zu der Zeit reifte im Rektorat meiner Universität in Dortmund (seit 2007 „Technische“ Universität) der Plan, die geschichtswissenschaftlichen Studiengänge abzuschaffen. Als (Pro-)Dekan der Dortmunder Fakultät Kulturwissenschaften habe ich mich zusammen mit einigen KollegInnen lange und intensiv dagegen gewehrt – letztlich vergeblich. 2011 wurde der Plan vom Rektorat gegen das Votum der Fakultät durchgesetzt. Auch wenn das zu den schmerzlichen Misserfolgen meines Berufslebens zählt – ich habe viel dabei lernen können. Der Konflikt hat mich ständig herausgefordert, über den praktischen Sinn von Geschichtswissenschaft und von historischem Erzählen im Journalismus nachzudenken. Soweit sich das Nachdenken in Texten niedergeschlagen hat, konnte und kann ich bei m&z mit einem offenen Ohr für deren Publikation rechnen.
Auch die vierte Episode hat mit diesem offenen Ohr zu tun. Auf unkomplizierte Art hat die Zeitschrift Christina Kiesewetter und mir vor einigen Jahren die Chance gewährt, als GastherausgeberInnen ein Themenheft zur Frage „Wann beginnt der Journalismus?“ zu gestalten. Wir haben Aufsätze von einschlägig arbeitenden HistorikerInnen, LiteraturwissenschaftlerInnen, JournalistInnen und KommunikationswissenschaftlerInnen bestellt und zusammengetragen, die die Frage mit fünf verschiedenen Thesen beantworten: Antike, Mittelalter, Anfang des 17. Jahrhunderts, Anfang des 18. Jahrhunderts, Ende des 19. Jahrhunderts; der letzte Aufsatz widmet sich der offenen Frage, wann der Journalismus endet.
m&z bietet mit seinen Themenheften Gelegenheit, ein publizistisches Ensemble bewusst zu gestalten: Ein wohltuender Unterschied zu anderen Fachzeitschriften, die Eingesandtes nur nach der Qualität des einzelnen Textes beurteilen und dann mehr oder weniger zufällig zusammenstellen. Dass manche RezensentInnen auch bewusst durchkomponierte Themenausgaben nicht besprechen mögen, weil es keine „Bücher“ sind, steht auf einem anderen Blatt.
Auch bei der letzten Episode geht es um ein Themenheft, dieses Mal zum „Geheimnis“. Es wurde 2014 vom ständigen Herausgeber und der Redaktion gestaltet. Für die Ausgabe waren vor allem Beiträge zur Funktionalität des Geheimhaltens vorgesehen. Um dem einen Kontrapunkt gegenüberzustellen, wurde ich von der Redaktion gebeten, für das Heft auch einmal kritisch aus der Perspektive der journalistischen Öffentlichkeitsaufgabe über unterbleibende Informationen zu schreiben. Den Auftrag hatte ich vermutlich meiner Mitarbeit in der Initiative Nachrichtenaufklärung (INA) zu verdanken, die sich um Themen kümmert, die von den Medien vernachlässigt werden.
Die Erfahrung zeigt: Bei m&z hat man den Mut, offen und bewusst Personen als BeiträgerInnen auszuwählen und Beiträge ohne anonyme „peer reviews“ zu publizieren – oder auch abzulehnen. Damit hält sich die Zeitschrift an die schon von Daniel Defoe benannte publizistische Einsicht, dass persönlich zurechenbare Verantwortung Qualität fördert, während Anonymität sie unterhöhlt. U. a. weil der internationale Zitations-Index nur Zeitschriften aufnimmt, die das anonyme Peer-Review-Verfahren anwenden, ist dies Verfahren auch in der Publizistik der KW endemisch geworden. Es führt zur Standardisierung, wo Freiheit, Kreativität und Vielfalt nötig wären. Indem m&z diesen Trend nicht mitmacht, trägt die Zeitschrift vorbildlich zur notwendigen Vielfalt bei den Auswahlverfahren in der KW-Publizistik bei. Dass Aufsätze die in m&z publiziert werden deshalb für die Karriere vielleicht weniger bedeutend sind als anderswo, steht wiederum auf einem anderen Blatt – ich hab’ da leicht reden, in meinem Alter kommt es darauf nicht mehr an.
Jedenfalls: Weiter so, m&z! Für Freiheit und Pluralismus in der Kommunikationswissenschaft ist die Zeitschrift unverzichtbar.