Einleitung: In den öffentlichen Diskussionen, die die Jahreswende 1999/2000 begleiteten, lassen sich zwei Themen isolieren, die diesem Ereignis eine besondere, für eine „Milleniumsfeier“ ungewöhnliche Prägung gaben: Zum einen das Y2K-Bug-Problem – die Frage, welche Auswirkungen eine unscheinbare Nachlässigkeit bei der Implementierung der numerischen Repräsentation des Datums in einigen Computersystemen auf das Funktionieren der Logistik moderner Gesellschaften haben würde (das Problem trat nicht überraschend auf, auch wenn die Medienberichterstattung meist diesen Anschein erweckte), zum anderen die Diskussion, ob mit dem Jahr 2000 wirklich das 3. Jahrtausend der modernen westlichen Zeitrechnung angebrochen sei, oder ob man mit den Feierlichkeiten bis zum Jahr 2001 warten solle.
Während das erste Thema von technologischen Erklärungen und Prognosen dominiert wurde und die veröffentlichte Meinung durch mehr oder weniger düstere, aber immer diffuse Schreckensszenarien gekennzeichnet war, polarisierte das zweite Thema die Öffentlichkeit. Beispielhaft für die Diskussion war die Neujahrsausgabe des Jahres 2000 der Süddeutschen Zeitung, in der man auf der ersten Seite konträre Meinungsbeiträge zweier Journalisten zu diesem Thema lesen konnte. Keiner der beiden Beiträge dürfte die Anhänger der gegnerischen Lager konvertiert haben, sie konnten weder in argumentativer noch mathematischer Hinsicht überzeugen. Das ungewöhnliche Interesse, das die Diskussion um die Bedeutung des Datums 2000 hervorgerufen hatte, fand aber auch durchaus originellen publizistischen Ausdruck: Die letzte Ausgabe der Schweizer Weltwoche im Jahr 1999 war dem Thema Zahlen gewidmet und demonstrierte die Bandbreite, in der das Phänomen der Zahl die heutige Gesellschaft tangiert.
Der Umgang mit Zahlen geschieht in der Regel unreflektiert – er zählt als grundlegende Kulturtechnik mit rein funktionalem Charakter. Größeres Interesse an Zahlen zeigen allenfalls Mathematiker oder Statistiker, der Großteil der Öffentlichkeit wird zwar unablässig mit Zahlen konfrontiert, erfährt aber in der Regel wenig über die Prozesse, die eine Zahl hervorgebracht haben. Diese Prozesse sind zum großen „Feil ökonomischen und technologischen Systemen zugehörig, die Zahlen, die in der Öffentlichkeit kommuniziert werden – Arbeitslosenziffern, das Bruttoinlandsprodukt, die Taktfrequenz der neuesten Intel-Prozessoren – kann man als symbolische Medien auffassen, die die Leistungen der verschiedenen sozialen Subsysteme in die Semantik des öffentlichen Diskurses übersetzen. Aber diese Zahlen sind nicht nur harmlose Bezeichner eines Fakts, als Zeichen unterliegen sie — folgen wir Charles Sanders Peirce (vgl. Peirce, 1983) — einem Prozeß der Interpretation. Diese Interpretationen werden als geteilte kulturelle Muster in der Regel von denjenigen festgelegt, die an der Produktion numerischer Beschreibungen beteiligt sind, bzw. daran Interesse besitzen – und die die Macht besitzen, derartige Interpretationen auch zu etablieren. …