Einleitung:
„Die geheimen Verführer“ als Exponenten einer obskuren Bedrohung
Am Ende“, nämlich so um das Jahr 2000 herum, werde womöglich die ganze „Tiefenmanipulation psychologischer Prägung liebenswert altmodisch erscheinen“, kündigte der Journalist Vance Packard in seinem Buch: „The hidden persuaders“ von 1957 an. Dieser Sensations- Report war zuerst in den Vereinigten Staaten erschienen und wurde ein Jahr später unter dem Titel „Die geheimen Verführer“ in deutscher Sprache publiziert, versehen mit dem packenden Untertitel: „Der Griff nach dem Unbewussten in Jedermann“. Im neuen Jahrtausend, so Packards Prophetie, wären nicht mehr Psychotechniker die geheimen Manipulatoren, sondern Biophysiker, die vermittels einer sogenannten Biokontrolle „eine bis ins letzte gehende Tiefensteuerung“ des Menschen bewerkstelligen könnten.
Vance Packard erwies sich binnen kürzester Zeit als der wortgewandte, vielgelesene und einflussreichste öffentliche Kritiker einer Psychologisierung der Wirtschaftswerbung in den USA und in Europa. Als die wahren Akteure hinter den meisten aktuellen neuen Kampagnen machte man eine neue Spezies von Experten aus: die sogenannten Motivforscher. Die Debatte um Theorie und Praxis der Motivforschung erregte in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre bis etwa Mitte der sechziger Jahre sowohl in Fachkreisen wie in der breiten Öffentlichkeit der Bundesrepublik größtes Aufsehen und Interesse. Im Verständnis kritischer Zeitgenossen räumten die aus den USA kommenden Vertreter eines neuen Wissens- und auch eines vermeintlich neuen Absatzparadigmas in erster Linie den emotionalen Anteilen am Produkt und damit an der kommerziellen Produktkommunikation den Primat ein. Deren Versuch, die sogenannten Kaufmotive durch psychologische und psychoanalytische Verfahren aufzuhellen und aus diesen Ergebnissen praktische Schlüsse für eine effektive Absatzpolitik zu ziehen, traf in der zeitgenössischen Publizistik auf heftige Kritik und Ablehnung, zugleich aber auch auf außerordentliche Akzeptanz bei Auftraggebern aus der Wirtschaft. Über eine fachliche Kritik hinaus wurde unter moralischen Aspekten nicht nur das Konsumenten-, sondern auch das Menschen- und Gesellschaftsbild dieser „tiefenpsychologisch“ orientierten Beraterschaft ausgiebig diskutiert.
Vance Packard hatte eine Theorie und Praxis des Warenabsatzes in das Scheinwerferlicht der transatlantischen Öffentlichkeiten gerückt, die jedoch in den fünfziger Jahren in ihrem „psychologisierenden“ Kern gar nicht mehr so neu war. Gleichwohl, sein investigativer Anspruch, eine sozial und politisch gefährliche Novität ins Rampenlicht der allgemeinen Öffentlichkeit zu rücken und zu skandalisieren, und der selbstbewusste Anspruch der kritisierten Motivforscher, einen fundamental neuen Zugang zu Problemstellungen des Absatzes bereitzustellen, begünstigten gegenseitig den Nachrichtenwert und beförderten die publizistische Debatte.
Dieser Beitrag will grundlegende Elemente des kontroversen Diskurses um diese akademisch gebildeten Absatzexperten, in ihrem Selbstverständnis gewöhnlich „Motivforscher“, von Skeptikern aber auch abschätzig „Tiefenboys“ oder Tiefenheinis“ genannt, am Beispiel ihres prominentesten Vertreters in Deutschland und Österreich nachvollziehen. Ernest Dichter, publizimstisch wie geschäftlich äußerst erfolgreich, geriet in Deutschland und in seiner Heimat Österreich zum Kristallisationspunkt des Diskurses um die Vergesellschaftung und Kommerzialisierung psychologisch- psychoanalytisch begründeten Wissens. Die kulturgeschichtlich-biographische Aufarbeitung solch ökonomischer Funktions- und Experteneliten im Absatz- und Marketingbereich vermag grundlegende Einblicke in die Funktionsweise und Durchsetzungskultur intermediärer Instanzen des Wirtschaftens zu eröffnen: Zu den vornehmsten Aufgaben dieser Experten zählt das Austarieren und Ausbalancieren von divergierenden Ansprüchen und Absichten, die Ausformulierung und das Anbieten von akzeptanzfähigen Produktnarrativen und schließlich die Vermittelung polarer Wissenskulturen. Die Zunft solch professioneller Mediatoren zwischen Wirtschaft und Wissenschaft einerseits sowie zwischen Wirtschaft und Gesellschaft andererseits konnte ihre ökonomische und gesellschaftliche Bedeutung in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts kontinuierlich steigern. Das Medium ihrer erfolgreichen Tätigkeit bildet seither eine gelungene, mehrgleisige Kommunikation.
Moderne Gesellschaften, die sich nach Niklas Luhmann durch eine Zunahme von Komplexitäten auszeichnen, benötigen ebenso zunehmend Instanzen, die Vertrauen zu generieren vermögen. Vermittlung von Informationen ist seit Menschengedenken Vertrauenssache – Ernest Dichter und die Experten des Absatzes werden nicht von ungefähr seit den fünfziger Jahren zu Kristallisationsfiguren ökonomischen wie sozialen Vertrauens. Am Beispiel von Ernest Dichter lässt sich sogar zeigen, dass die nötigen gesellschaftlichen Vermittelungsprozesse nicht trotz sondern aufgrund des Andersseins und Außenseitertums der Vermittler in Gang gesetzt werden können. …