Editorial 4/2014 Journalismus, Medien und Öffentlichkeit als Beruf

Entfesselung, Formierung, Professionalisierung des medialen Berufsfeldes

Fragestellungen und Konturen eines kommunikationshistorischen Forschungs-feldes

In dieser und der folgenden Ausgabe von medien & zeit soll der Entfesselung, Formierung und Professionalisierung des medialen Berufsfeldes nachgespürt werden, wie es sich von der zweiten Hälfte des 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts um die Felder Journalismus, Medien und Öffentlichkeit herausgebildet und ausgeprägt hat. Das ist grundsätzlich als Plädoyer für eine Öffnung und Weitung der kommunikationshistorischen Sicht auf die Geschichte von Kommunikation- und Medienberufen zu verstehen: hin zu einer auch historisch „integrativen Perspektive auf das Berufsfeld Medienkommunikation“ (Engels, 2002, S. 8).

Im Großen und Ganzen gilt auch für die Kommunikations- und Mediengeschichte, was Kerstin Engels vor etwas mehr als einem Jahrzehnt an der kommunikations-wissenschaftlichen Kommunikator- und Medienberufsforschung kritisierte:  „dass neu entstandene und entstehende Tätigkeitsfelder von ‚Berufskommunikatoren’ bisher lediglich als randständiges Phänomen, d.h. als an den Rändern ausfransender Journalismus“ wahrgenommen werden (2002, S. 7). Insbesondere in der Folge der 1995 erschienenen ersten umfassend quellenfundierten professionshistorischen Studie von Jörg Requate zur Entstehung und Entwicklung des Journalistenberufs im 19. Jahrhundert hat die historische Journalismusforschung hierzulande geradezu einen Forschungsboom erlebt (zusammenfassend: Wilke, 2013). Und während so die Herausbildung und Professionalisierung des Journalismus als Beruf mittlerweile sogar in kommunikations- und medienhistorischen Einführungen und Überblicksdarstellungen einen festen Platz einnehmen (vgl. aus deutscher Perspektive: Wilke, 2002, S. 291-296; international vergleichend: Bösch, 2011, S. 114ff.), sind die modernen Medienberufe, die sich im Kontext der „Plurimedialität der Massenkommunikation“ (Wilke, 2002, S. 303) zu Beginn des 20. Jahrhunderts rund um die neuen Medien Film und Rundfunk entfalteten, weitgehend unberücksichtigt geblieben. Man weiß in diesem Zusammenhang mehr über mediale Angebote, Inhalte und Programme, Organisation, Verrechtlichung und selbst Publikum und Rezeption dieser neuen Medien als über diejenigen hinter Kamera und Mikrofon.

In der Tat ist festzustellen, dass mit der Fokussierung auf den Journalismus als Medienberuf in der Kommunikations- und Mediengeschichte ebenso die Geschichte der vielfältigen „Hilfsgewerbe der Presse“, also von u.a. Annoncen-Expeditionen, Korrespondenzen, Nachrichtenagenturen und Telegraphenbüros (vgl. als Überblick: Wilke, 2002, S. 246-248; zum medialen Sektor der Korrespondenzen: Kutsch, Sterling & Fröhlich, 2011; zu Nachrichtenagenturen und Telegraphenbüros: Wilke, 1991), wie insbesondere die Ursprünge einer uns heute selbstverständlichen Vielfalt moderner Medienberufe teilweise vernachlässigt wurden. Jedenfalls wissen wir noch immer viel zu wenig über die historische Formierung solcher medialer Berufsbilder wie Drehbuchautor, Filmkritiker, Korrespondent, Maternredakteur, Öffentlichkeitsarbeiter, Pressereferent, Radiosprecher, Rundfunkreporter, Werbetexter oder Reklamespezialist – um nur einige Beispiele zu nennen. Fast scheint es, als nehme man die Genese dieses hochkomplexen medialen Berufsfeldes und seine Feingliederung in eine Vielzahl an Medienprofessionen als sich sowohl selbsterklärendes wie selbstverständliches Nebenprodukt der im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts erst mit dem Film und dann mit dem Rundfunk einsetzenden Plurimedialisierung des Medienensembles, von medialen Innovationen sowie generellen sozialen Wandlungsprozessen, in denen Kommunikation, Medien und Öffentlichkeit zunehmend eine Schlüsselrolle spielen. Vollkommen unterbelichtet bleiben hierbei jedoch die spezifischen Bedingungen, Kontexte und Ursachen der Herausbildung dieses modernen medialen Berufsfeldes insgesamt wie die Prozesse der sektoralen Institutionalisierung medialer Branchen und Berufsfelder, die Praktiken und Praxis der einzelnen Medienberufe sowie schließlich ihre professionelle Organisation.

Wenn man vor diesem Hintergrund die eingangs erwähnte „integrative Perspektive“ auf Kommunikations- und Medienberufe für die Kommunikations- und Mediengeschichte adaptiert, dann geht es folglich explizit nicht um eine (von Saxer, 1997, S. 40, zurecht kritisierte) „bloß additive Aneignung“ und Erweiterung der Kommunikator- und Medienberufsgeschichte um einzelne mediale Berufsfelder parallel zur Etablierung neuer Medien oder neuer gesellschaftsrelevanter kommunikativer Leistungen, sondern vielmehr darum, einen übergreifenden kommunikations- und medienhistorischen Erkenntniskontext herzustellen, der sich für die Genese, Organisation und strukturelle Tiefengliederung des modernen medialen Berufszusammenhangs in Gänze interessiert, wie er sich seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts um Journalismus, Medien und Öffentlichkeit konstituiert hat: Welche medialen Berufsbilder und -felder haben sich wie ausdifferenziert? Welche Gemeinsamkeiten, welche Unterschiede lassen sich dabei beobachten? Welche Selbstbilder entwickelten die einzelnen medialen Teilprofessionen von sich? Welche sozial inkludierenden bzw. exkludierenden Mechanismen und Strategien der Institutionalisierung und Professionalisierung waren dabei kennzeichnend und gab es intermedial Muster und Vorbilder für die sektorale Verberuflichung? Welche Rolle spielten soziale Metaprozesse wie Globalisierung, Industrialisierung, Kommerzialisierung, Medialisierung sowie die Herausbildung einer modernen Konsum- und Medienwelt in diesem Zusammenhang? Konzeptionell muss einer solchen „Suche nach den unbekannten Kommunikatoren“ (Langenbucher, 1996) eine entsprechend weite Vorstellung zugrunde liegen, wie sie etwa Gerhard Maletzke verwendet, der darunter „jede Person oder Personengruppe, die an der Produktion von öffentlichen, für die Verbreitung durch ein Massenmedium bestimmten Aussagen beteiligt ist, sei es schöpferisch gestaltend oder selektiv oder kontrollierend“ fasst (1963, S. 43). Etwas komprimierter meint Jürgen Wilke mit Kommunikatoren jene Personen in medienvermittelten Kommunikationsprozessen, „die an der Produktion und Distribution von publizistischen Medien“ teilhaben (2003, S. 157).

Klar ist freilich, dass die in dieser Komplexität aufgeworfenen Fragen hier mitnichten erschöpfend beantwortet werden können. Ziel der vorliegenden und der kommenden Nummer von medien & zeit ist es vielmehr, der skizzierten integrativen Geschichte der Kommunikations- und Medienberufe erste Impulse zu verleihen. Die Themenhefte versammeln ganz unterschiedliche Beiträge im Feld der Journalismus-, Kommunikations- und Medienberufsgeschichte unter einem Dach und sollen damit diesem kommunikationshistorischen Forschungsfeld Kontur geben. Eröffnet werden die Hefte mit dem Beitrag von Susanne Kinnebrock, Elisabeth Klaus und Ulla Wischermann, der von der These ausgeht, dass die Entwicklung des Journalistenberufs zwar eng mit Entwicklungen in verwandten Berufsfeldern wie PR, Werbung oder Schriftstellerei verknüpft ist. Kommunikatorforschung und Kommunikationsgeschichte legen jedoch nur selten den Blick auf solche Personen, die parallel in verschiedenen Berufsfeldern tätig waren oder zumindest im Laufe ihrer Karriere den Beruf wechselten. Vor diesem Hintergrund konzipieren sie mithilfe des Konstrukts des „Grenzgängertums“ eine historische KommunikatorInnenforschung, die journalistische Tätigkeit (man könnte erweitern: medienberufliche Tätigkeit) nicht isoliert betrachtet, sondern im Gesamt des Lebenszusammenhangs einer Person und in der Wechselwirkung mit anderen Tätigkeiten. Quellengrundlage für die Rekonstruktion von Berufsalltag und zur Beschreibung medialer Berufsfelder unter dem Blickwinkel des Grenzgängertums sind Autobiographien. Am Beispiel der Publizistinnen Helene Rahms, Gabriele Strecker und Elfriede Brüning werden drei sehr unterschiedliche Autobiographien diskutiert, die auf den Facettenreichtum von Grenzgängertum in medialen Berufszusammenhängen aufmerksam machen.

Implizit spielt Grenzgängertum auch in dem Beitrag von Robert Radu eine Rolle, der mit dem auf seiner jüngst abgeschlossenen Dissertation basierenden Beitrag zur Entstehung des Finanzjournalismus in Deutschland zwischen 1850 und 1900 eine Forschungslücke in der Journalismusgeschichte schließt. So stellt Radu heraus, dass die meisten Finanzjournalisten der ersten Generation der kaufmännischen Praxis oder dem Bankfach entstammten, und zeichnet nach, wie an der Schnittstelle von Finanzsektor und Öffentlichkeit in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein neues journalistisches Feld entstand, das fortan die gesellschaftliche Beobachtung des Börsen- und Finanzmarktgeschehens organisierte und prägte. Erörtert werden der gesellschaftliche Funktionswandel finanzjournalistischer Kommunikation sowie die korrespondierende Genese der journalistischen Berufsrollen des Handelsredakteurs und Börsenreporters inklusive professionsspezifischer Normen und Praxen.

Im Mittelpunkt des Beitrags von Peter Szyszka steht der PR-Beruf in der Weimarer Republik. Noch immer ist die Genese des PR-Berufsfeldes im Organisationskontext von Propaganda, Reklame und Werbung hierzulande nur punktuell untersucht. Vor dem Hintergrund der sich industrialisierenden und modernisierenden Gesellschaft des späten 19. Jahrhunderts setzte der Verberuflichungsprozess von PR bei Kommunen, Staat, Verwaltung und Wirtschaft ein, die sukzessive spezifische Instrumente strategischer Kommunikationsarbeit ausbildeten. Szyszka illustriert anhand zeitgenössischer Dokumente den nahezu unbekannten hohen Professionalisierungsstatus sowie die wissenschaftliche Reflexion deutscher PR in den 1920er-Jahren. Insbesondere für das Feld der Wirtschafts-PR offenbart sich hierbei ein dichtes Bild von Professionalisierung und Profilierung, sodass Szyszka schon für diese Zeit wesentliche Charakteristika und Strukturen von PR als modernen Medienberuf konstatiert.

Schließlich rückt der Beitrag von Jürgen Wilke den Korrespondenten als „Urtyp“ des Journalisten ins Zentrum. Trotzdem dieser Typ des Journalisten seit der Frühzeit der deutschen Presse kontinuierlich präsent ist, markiert der Korrespondent eine weitere Forschungslücke in der Journalismusgeschichte. Die Fokussierung von Wilke auf die Korrespondenten in der Weimarer Republik, verweist auf die Gründe dafür. Namen sind selten überliefert und retrospektive bio- und bibliographische Erhebungen des Korrespondententums somit sehr aufwendig. Eine bislang übersehene Quelle, um das Feld der Korrespondenten systematisch zu rekonstruieren, ist das Jahrbuch der Tagespresse des Jahres 1930, das für die Spätzeit der Weimarer Republik einen geradezu exklusiven Einblick in dieses Berufsfeld erlaubt. Selbst wenn die dort veröffentlichten Korrespondentenverzeichnisse vermutlich nicht vollständig sind, lassen sich doch daraus wichtige Eckdaten für eine biographische und quantitative Bestandsaufnahme dieses journalistischen Sektors zu dieser Zeit gewinnen.

Mit der Breite und Vielseitigkeit der vorgestellten Beiträge deutet schon dieses Themenheft das enorme Spektrum einer Geschichte der Kommunikations- und Medienberufe an. Zugleich zeigt sich, dass in diesem Feld noch viele interessante Forschungsthemen verborgen sind, die es zu entdecken und zu erschließen lohnt!

Gastherausgeber:
Erik Koenen & Thomas Birkner