Andreas Fickers & Sonja de Leeuw: Das „European Television History Network“ Europäische Fernsehgeschichtsschreibung in vergleichender Perspektive

Einleitung: Auf der Jahreskonferenz der FIAT/IFTA (Fédération Internationale des Archives de Télévision / International Federation of Television Archives) im Oktober 2004 wurde das European Television History Network lanciert. Initiiert vom Fachbereich Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft des Instituts für Medien und Re/Präsentation der Universität Utrecht möchte dieses Netzwerk als kommunikative Plattform für europäische Aktivitäten im Bereich der historischen Fernsehforschung dienen und gemeinsame Forschungsaktivitäten initiieren und koordinieren. Vorrangiges Ziel dieses Vorhabens ist es, Fernseharchiven und Fernsehhistorikern eine gemeinsame Plattform zu bieten, auf der Probleme und Chancen einer vergleichenden europäischen Fernsehgeschichte diskutiert werden können. Aus diesem Grunde baut das Netzwerk auf dem bereits bestehenden europäischen Fernseharchivprojekt BIRTH auf. BIRTH, ein europäischer Verbund von bislang sechs Fernseharchiven, stellt auf seiner Homepage (www.birth-of-tv.org) audiovisuelles Quellenmaterial zur Frühgeschichte des Fernsehens der entsprechenden Teilnehmerländer in streaming-video-Technologie zur Verfügung, bietet eine Online-Enzyklopädie mit kurzen Überblicksartikeln zu wichtigen Themen der Fernsehgeschichte sowie eine interaktive Zeitleiste, auf der sich die Besucher ein Bild von den wichtigsten Etappen der europäischen Fernsehgeschichte machen können. Bereits vor der Gründung des European Television History Networks haben Forscher an verschiedenen Universitäten mit BIRTH kooperiert, beispielsweise durch die Mitarbeit an den so genannten „knowledge based articles“ für die online-Enzyklopädie. Das BIRTH-Portal als ideales Kommunikationsforum nutzend wurde der Homepage nun ein Television History Research Gateway hinzugefügt1, das allen Interessierten im Bereich der Fernsehgeschichte die Möglichkeit bietet, Kontakte zu europäischen Kollegen im Bereich der Fernsehgeschichte zu knüpfen sowie eigene Forschungsinteressen und -projekte in die Datenbank einzuspeisen. Das Portal bietet so die Möglichkeit, akademische, archivarische und private Interessen im Bereich der Fernsehgeschichte bekannt zu machen, mögliche Synergien zu fördern sowie gemeinsame Forschungsinteressen zu entdecken.

Aus akademischer Perspektive sind das Netzwerk und dessen Internetpräsenz aus mehreren Gründen von Bedeutung. Zum einen leistet es eine wichtige Funktion als Mittler zwischen den institutionell gut organisierten Aktivitäten im Bereich der Fernseharchive (FIAT) und den disparaten, national und universitär verstreuten Forschungsaktivitäten im Bereich akademischer Fernsehgeschichtsschreibung. Sollte sich die Idee der Netzwerkbetreiber erfüllen, kann das European Television History Network dazu beitragen, gegen alle Fragmentierungs- und Spezialisierungstrends im universitären Bereich als gemeinsamer Nenner für interdisziplinäre Forschungen im Bereich der europäischen Fernsehgeschichte zu fungieren. Zum anderen reflektiert die Initiierung des Netzwerkes die Überzeugung der Netzwerkbetreiber, dass die Fernsehgeschichtsschreibung dringend einer vergleichenden historischen Perspektive bedarf. Die im nächsten Abschnitt folgende kurze fernsehhistoriographische Skizze macht deutlich, wie stark die Rundfunkgeschichtsschreibung der letzten dreißig Jahre am jeweiligen nationalen Kontext ausgerichtet war. Diese dem Historismus verpflichtete Tradition nationaler Geschichtsschreibung zu überwinden ist eine wesentliche Motivation dieser Initiative. Des Weiteren ist das Vorhaben von der Idee inspiriert, europäische Fernsehgeschichte vor dem Hintergrund sozialund kulturwissenschaftlicher Fragestellungen zu betreiben und besonders nach der Funktion und Bedeutung des Fernsehens bei Prozessen medialer Identitätskonstruktion, politischer Partizipation und symbolischer Sinnerzeugung zu fragen. —