Einleitung: Das irische Folk-Revival und die bulgarische Staatsfolklore können auf einige interessante Parallelen zurückblicken. Ab den späten 60er Jahren kam es zur ersten gemeinsamen Liebesnacht, die für den irischen Folk nicht ohne Folgen bleiben sollte. Die Chronik einer liaison discrète.
Irische und bulgarische (Neo-)Tradition
In den Sleeve-Notes zum irischen Konzeptalbum Tin Whistle, das die Chieftains-Mitglieder Paddy Moloney und Seän Potts 1973 aufnahmen, übt sich ein gewisser Gerald Hanley in Kulturtheorie:
For if the country people of Bulgaria, Romania, and other Balkan countries could hear Irish music as played by The Chieftains they would recognise at once the same ghost, or duende, which haunts their own music. Its an odd thing how much Gaelic music strangely resembles that of the Balkans; yet not so surprising when one remembers that it was a Celtic tribe, the Scordi- sae, which formed Belgrade and other Balkan areas.
Der nationalistische Schwarmgeist, der sich nur schwer vorstellen kann, dass Völker und Kulturen sich durch die Jahrtausende verändern, muss die Bulgaren und Nachbarn zu Ehrenkelten aufwerten. Denn der nicht minder unwissenschaftliche Umkehrschluss würde nicht mal in Erwägung gezogen, dass die Iren etwa abgewanderte Südslawen seien. Nichtsdestoweniger gibt es Ähnlichkeiten zwischen irischer und bulgarischer Instrumentalmusik (mindestens so viele, wie es Unterschiede gibt), und die lassen sich grob auf zwei Gründe zurückführen:
- Sowohl irische als auch südslawische Volksmusik sind größtenteils modal, gehorchen nicht dem gängigen Dur-Moll-Schema, in der Instrumentalmusik beider Regionen herrscht ursprünglich Einstimmigkeit vor.
- Die Musik der Chieftains stellt ein Kunstprodukt dar, welches auf den Experimenten des irischen Komponisten und Arrangeurs Sean O Riada (1931-1971) beruht, so wie die bulgarische Musik, wie sie Herrn Hanley zu Ohren gekommen sein mag, auf vergleichbaren Arrangements des bulgarischen Komponisten Philip Kutev (1908-1982) fußt.
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